Eine andere Cloud ist möglich

Transmediale-Kurator Kristoffer Gansing über die Macht der Algorithmen und die Frage, wer sie kontrolliert

  • Lesedauer: 4 Min.

Kristoffer Gansing, was ist die Transmediale in erster Linie: eine Medienkunstausstellung? Eine Konferenz? Eine Technologiemesse? Ein Hackertreffen?

Sie ist fast alles davon, nur eine Technologiemesse nicht. Es ist wichtig, die Transmediale als transdisziplinär zu verstehen. Wir vertreten keine Interessengruppen der Netzgemeinde. Aber es gibt eine kritische Netzkultur in Europa, die seit den letzten zehn, fünfzehn Jahren eng mit der Transmediale verbunden ist. Das ist eine Szene, in der sich Kunst, Kultur und Hacker-Aktivismus überschneiden.

In diesem Jahr haben Sie ein für ein Avantgarde-Festival echtes Mainstreamthema ausgewählt: Die Informatisierung unseres Lebens und die Überwachungsproblematik sind in aller Munde. Ein Zugeständnis ans große Publikum?

Wir finden es gut, wenn wir auch von Mainstreammedien wahrgenommen werden. Bei unserem Festivalthema »Capture All« geht es aber nicht nur um die Massenüberwachung, wie sie die Geheimdienste ausüben, sondern auch um das Dateneinsammeln von Firmen und um die Bereitschaft der Einzelnen, für eine angestrebte Selbstoptimierung so viele Daten wie möglich auch zur Verfügung zu stellen. Wir wollen zeigen, welche Einflüsse solche Entwicklungen auf das reale Leben haben, welche Probleme es gibt und wie unsere kapitalistische Gesellschaft so funktioniert.

Wie positioniert sich die Transmediale dabei? Man kann ja euphorisch all die neuen Geräte und Technologien begrüßen, sich vor der Überwachung fürchten oder auch Angst davor haben, dass die Überwachung - siehe Terrordebatte - gar nicht dicht genug ist. Wo steht da die Transmediale?

Eine große Frage. Wir haben die Thematik in die drei Felder Arbeit, Leben und Spiel aufgeteilt. Uns geht es dabei um eine Kritik an der Ausbeutung des Lebens durch das Digitale. Das wollen wir historisch einordnen und auch handgreiflich machen. Es geht darum, wie alle Zeit zu Arbeitszeit wird - und gleichzeitig Arbeit durch spielerische Momente verändert wird.

Wodurch sich die Arbeit noch mehr ins Leben hereinfrisst ...

Ja, klar. Der Acht-Stunden-Tag war ja eine Forderung der Arbeiterbewegung, nicht ein Diktat der Industrie, wie man vor zehn Jahren angesichts des Redens über die Langeweile im Nine-to-Five-Job hätte denken können. Uns geht es vor allem darum, das historisch zu betrachten. Und dann geht es darum zu gucken, ob sich Arbeiter, die heute ganz fragmentiert beschäftigt sind, überhaupt noch organisieren können. Was hat der Amazon-Arbeiter hier mit dem I-Phone-Arbeiter in China zu tun?

Gibt es schon Antworten?

Da muss man Judy Waicman und Tiziana Terranova befragen. Die treffen bei uns am 29. Januar aufeinander. Waicman ist eine Soziologin, die mit empirischen Studien arbeitet, und eine Pionierin des Cyberfeminismus. Terranova arbeitet eher spekulativ über Post-Autonomy Labour. Sie hat einen der frühen Essays über die Digitale Ökonomie geschrieben und war eine der ersten, die über Ausbeutung in Open-Source-Arbeitszusammenhängen publiziert hat. Beide haben bei allen thematischen Überschneidungen unterschiedliche Vorgehensweisen. Das wird sicher spannend.

Werden im Rahmen des Workshop-Programms der Transmediale auch Instrumente entwickelt, um dem Daten- und Überwachungsstrom zu entgehen?

Ja. Da gibt es eine Reihe von Projekten unter dem Stichwort »off the cloud«. Dabei geht es um alternative Netzwerkstrukturen außerhalb des Internets. DeadSwap etwa beruht ganz einfach auf dem Austausch von USB-Sticks im öffentlichen Raum. Man kann während der Transmediale Teil dieses Netzwerks werden. PirateBox ist ein Open-Source-Router, mit dem man ein lokales Netzwerk unabhängig vom Internet aufbauen kann. Wir machen einen Workshop dazu, wie es funktioniert. Bei Occupy Wall Street gab es so ein Kommunikationssystem. FireChat hingegen ist eine App, die Smartphones unabhängig vom Internet verbindet. Das wurde von den Demonstranten in Hongkong genutzt. Es kann oft sinnvoll sein, sich durch andere Methoden als das große Internet zu verbinden.

Wie würden Sie die alte Frage beantworten, wann die Maschinen die Herrschaft über die Menschen erringen, nur dass es sich jetzt nicht um handgreifliche Roboter, sondern um physisch nicht spürbare Algorithmen handelt?

Algorithmen sind ja auch Maschinen. Und das ist ein wichtiger Punkt. Es geht um maschinelle Logik und um unser Verhältnis dazu. Wer setzt wann, warum und in wessen Interesse Algorithmen ein? Und wie verändert dies unser Leben? Der springende Punkt ist nicht die Technologie selbst, sondern, wer die Kontrolle über sie hat.

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