nd-aktuell.de / 31.01.2015 / Kultur / Seite 15

Täter darf man konsequent veralbern

Jacques Tilly bedauert, dass in Köln kein »Charlie-Hebdo«-Wagen zu sehen sein wird

Der Chef für den Bau von Rosenmontagswagen in Düsseldorf hat Verständnis für die Kölner Entscheidung - die Sicherheit habe immer Vorrang. Trotzdem gilt für ihn: Täter muss man schonungslos veralbern dürfen.

Herr Tilly, Sie sind der Chef für den Bau von Rosenmontagswagen in Düsseldorf. Wie sehr macht es Sie betroffen, dass die Jecken im benachbarten Köln keinen »Charlie-Hebdo«-Wagen auf ihrem Rosenmontagszug wollen?
Ich finde das sehr schade und bedauere es. Es wäre schön gewesen, wenn in allen Narrenzügen und auch von den Kölner Karnevalisten ein Statement für die Narrenfreiheit abgegeben worden wäre. Denn der Anschlag betrifft natürlich den Kern unserer Arbeit. Aber Sicherheit hat immer Vorrang. Deswegen habe ich Verständnis für die Entscheidung.

Moment: Selbst der erzreaktionäre Katholik Willibert Pauels alias »ne bergische Jung« nennt das Festkomitee »Weicheier« und spricht von vorauseilendem Gehorsam.
Sicherheit ist wichtig bei einer Massenveranstaltung wie dem Rosenmontagszug. Bedenken kann man nicht so einfach wegwischen.

Wird es wenigstens in Düsseldorf einen entsprechenden Wagen geben?
Die Diskussionen laufen, gebaut ist noch nichts. Warten Sie doch einfach mal ab. Wir Düsseldorfer zeigen unsere Wagenentwürfe vorab ja nicht...

… im Gegensatz zu den Kölnern.
Ja. In Köln ist eine Woche vor Rosenmontag Richtfest. Die Entwürfe werden in der Lokalpresse veröffentlicht. In Düsseldorf arbeiten wir bis kurz vor Rosenmontag an den Wagen, die bekommt niemand zu Gesicht. Deswegen stehen sie nicht zur Debatte und wir müssen keinen Rückzieher machen. Das ist eine gute Ausgangslage für Narrenfreiheit.

Das war nicht immer so.
Nein, erst seit 15 Jahren. Früher gab es in Düsseldorf einstweilige Verfügungen beispielsweise gegen nackte Helmut-Kohl-Figuren oder es lagen Unterschriftenlisten in Kirchen aus, wenn es um Religion ging. Viele Wagen konnten nicht so fahren, wie sie vorgesehen waren. 2000 schlug Jürgen Rieck, der damalige Geschäftsführer des Comitee Düsseldorfer Carneval, auf den Tisch. Seitdem arbeiten wir ohne Schere im Kopf.

Wäre Geheimhaltung auch in Köln das richtige Mittel gegen Zensur?
Ich glaube schon. Wenn keiner den Wagen vorher kennt, kann auch niemand vorher öffentlichen Druck erzeugen oder einstweilige Verfügungen gegen einen Wagen erlassen.

Eines Ihrer Wagenmotive von 2007 zeigt einen schwer bewaffneten Muslim, darunter steht das Wort »Klischee«. Dahinter war die gleiche Figur, beschriftet mit »Wirklichkeit«. Macht aber nicht auch bei Religiosität die Dosis das Gift?
Es ging nicht um Religion, sondern um Gewalt und Terrorismus. Der Wagen war ein wichtiges Statement gegen den damals weltweit tobenden Karikaturenstreit wegen der Mohammed-Karikaturen in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten.

Sie attackieren seit Jahren religiöse Reaktionäre, neben Katholiken auch Muslime. Wer ist humorvoller?
Mit den Katholiken hatte ich viel mehr Probleme. Wir haben übrigens nie einen antireligiösen Wagen gebaut. Es ging immer um Probleme wie Kindesmissbrauch oder die immer wieder unsäglichen Aussagen des ehemaligen Kölner Kardinals Meisner. Das war immer eines der Fundamente unserer Arbeit: Wir greifen keinen Glauben an, Götter und Propheten sind für uns auch tabu. Denn der Karneval ist für alle da.

Sind Sie nicht als dezidierter Religionskritiker bekannt?
Im Karneval bin ich diesbezüglich neutral. Gut, die Religionen bieten für den Satiriker natürlich stets eine Angriffsfläche, weil die Kluft so groß ist zwischen den hehren Werten und der schnöden Realität. Daraus bezieht der Satiriker seine Nahrung, ganz klar.

Wo liegen die Grenzen der Narrenfreiheit?
Jeder hat da einen inneren Kompass. Man kann keine Dogmen aufstellen.

Wo liegen Ihre Grenzen?
Täter darf man schonungslos veralbern, Spott mit Opfern muss tabu sein. Aber Täter und Opfer sind manchmal nicht leicht voneinander zu trennen.