Telefonnummer gegen Intoleranz

Immer mehr Anrufe bei der bundesweiten Beratungsstelle Radikalisierung

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 3 Min.
Beratungsangebote für radikalisierte Muslime sind keine neue Erscheinung, aber sie erfreuen sich zunehmenden Interesses. Nicht zuletzt bei den Eltern von jugendlichen Muslimen.

Nicht erst seit den Anschlägen auf das Pariser Magazin »Charlie Hebdo« stehen gewaltbereite Salafisten im Fokus der Sicherheitskräfte. Bereits seit 2012 versuchen die Behörden, den Einfluss religiöser Radikaler bundesweit durch Beratung und Hilfestellung für Familienmitglieder und Personen aus dem Umfeld zu begrenzen. Dazu gehört die Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg. Dort hat sich die Zahl der Beratungen 2014 verdoppelt.

Die Stadt Kempten im Allgäu, Füssener Straße Nr. 24. Hier befindet sich die Ditib-Moschee, eines von drei muslimischen Gebetshäusern in der Stadt mit ihren 65 000 Einwohnern. Vor dem unscheinbaren Gebäude wehen die deutsche und türkische Flagge, drinnen betet Hasan Yilmaz. Der 48-Jährige macht sich wie andere Eltern der muslimischen Gemeinde Sorgen. Sorgen um den Einfluss radikaler Prediger auf ihre Söhne und Töchter. Nicht ohne Grund. Kempten ist eine regionale Hochburg der Salafisten, wenn auch die Größe der Szene mit zehn angegebenen Mitgliedern nicht eben sonderlich groß wirkt. Von hier aus machte sich David G. 2013 auf nach Syrien, um am dortigen Krieg teilzunehmen. Der Lehrling war 2011 zum Islam übergetreten und in den Zirkel der Salafisten geraten, die Gruppe konsumierte islamistische Propagandavideos und radikalisierte sich. Im Januar 2014 wurde der 18-Jährige in Syrien getötet.

Dieser Radikalisierung bundesweit entgegentreten, das ist die Aufgabe der Beratungsstelle Radikalisierung, die in Nürnberg angesiedelt ist. Sie geht zurück auf einen »Präventionsgipfel« im Juni 2011. Damals beschloss der Bundesinnenminister, zusammen mit Muslimen einer Radikalisierung von Jugendlichen und Heranwachsenden durch islamistische Gruppierungen entgegenzutreten. Seit Januar 2012 sind nun von neun bis 15 Uhr drei Berater erreichbar - Telefonnummer (0911) 943 43 43. Bislang wurden 1200 Anrufe registriert, dabei kam es zu 450 Beratungsfällen. 2014 hat sich die Zahl der Anrufe dabei verdoppelt, heute werden acht bis zehn Beratungsfälle pro Woche gezählt. Die Beratungsstelle richtet sich an die Familienangehörigen von Menschen unter radikalem religiösen Einfluss, an ihre Lehrer, Arbeitskollegen oder Freunde. »Der salafistische Einfluss«, erläutert ein Sprecher der Beratungsstelle, »ist auch an Äußerlichkeiten erkennbar« - etwa dem Tragen eines Bartes oder der Vollverschleierung bei Frauen.

Häufig geschieht die Radikalisierung durch Videos, die über das Internet heruntergeladen werden. Oft ziehen sich die Betroffenen stark aus ihrem bisherigen Umfeld zurück und lassen keinerlei »Einmischung« mehr zu. Dies führt bei Freunden, besonders aber bei Eltern zu Verunsicherung: Sie befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen einer möglicherweise willkommenen Religiosität des Kindes und der gleichzeitigen Sorge, dass ihr Kind in »falsche Kreise« geraten könnte und sie den Kontakt zu ihm verlieren könnten. Insbesondere nicht-muslimische Eltern, deren Kinder zum Islam konvertiert sind, stellen sich viele Fragen zum Islam als Religion.

Die Beratungsstelle arbeitet mit vier Kooperationspartnern zusammen, die dann bei Bedarf vor Ort die betroffenen Familien besuchen und beraten. Einer davon ist die karitative Organisation »Violence Prevention Network« mit Sitz in Berlin. Sie betreibt in Hessen eine Beratungsstelle zu religiösem Extremismus und ist auch in anderen Bundesländern tätig. Einer der Schwerpunkte liegt dabei auf der Vermittlung von Wissen über interreligiöse und interkulturelle Zusammenhänge für Jugendliche. »Die Intervention bei beginnenden Radikalisierungsprozessen und die zielgerichtete Deradikalisierungsarbeit setzen dort an, wo Menschen einen Ausweg aus extremistischen Ideologien suchen«, beschreibt das Netzwerk seinen Ansatz.

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