nd-aktuell.de / 03.02.2015 / Politik / Seite 7

Wenig Harmonie in Budapest

Kanzlerin Merkel warb bei Gastgeber Orbán um das Modell Demokratie

Thomas Roser
Erstmals seit fünf Jahren besuchte Bundeskanzlerin Merkel Ungarn. Über Demokratie und Russlandpolitik blieb man uneins.

Viele Ungarn setzen große Hoffnungen in Angela Merkel. Zumindest die vor Ungarns Parlament gezogenen Gegner des nationalpopulistischen Premiers Viktor Orbán schrieben der Besucherin aus Deutschland nahezu überirdischen Einfluss zu. »Bitte erlöse uns von dem Bösen«, lautete eines der deutschsprachigen Protestplakate an die deutsche Kanzlerin am Vorabend ihrer Visite in Budapest: »Wir wollen EU-Bürger bleiben.«

Das Abklopfen, ob der offen mit Moskau flirtende Orbán bei den Russlandsanktionen noch auf Brüsseler Linie segelt, war tatsächlich eines der Ziele von Merkels Mission. Es gebe eine stillschweigende Übereinkunft, wonach sich Ungarn nicht gegen weitere Sanktionen sperren und Deutschland auf eine Kritik an der Innenpolitik der Regierung verzichten werde, hatte vorab das Wochenblatt »Magyar Narancs« orakelt.

Der Presse berichtete Kanzlerin Merkel dann aber, sie habe Orbán darauf hingewiesen, dass es sehr es sehr wichtig sei, in einer Demokratie die Rolle der Opposition, der Zivilgesellschaft und der Medien zu schätzen - auch wenn man wie Ungarns Premier »eine sehr breite Mehrheit« habe. Gesellschaften lebten schließlich davon, dass sie im Wettstreit um den besten Weg ringen, schrieb die Besucherin dem wie versteinert dreiblickenden Orbán ins Stammbuch: »Ich glaube, dass dies auch für Ungarn ein wichtiges Modell ist.«

Die Spannungen bei dem offensichtlich wenig harmonischen Treffen sollten sich auch in den Äußerungen der Kanzlerin zu wirtschafts- und energiepolitischen Fragen widerspiegeln. Deutschen Investoren sei daran gelegen, »zuverlässige Bedingungen« vorzufinden, bemerkte sie in Hinblick auf von Budapest oft ad hoc verhängte Sonderabgaben und die umstrittene neue Meldepflicht für alle Warentransporte. Bei der Frage nach den EU-Sanktionen gegen Russland verwies Orbán auf die »besondere Situation« seines Landes, dessen Wirtschaft von russischen Gaslieferungen »abhängig« sei.

Erneut warb Merkel in Budapest in der Ukrainekrise für eine einheitliche Linie der Europäer, die sie als ein »hohes Gut« bezeichnete. Ob es ihr gelungen ist, ihren Gastgeber gegen die zu erwartenden Offerten von Russlands in zwei Wochen in Ungarn erwarteten Präsident Wladimir Putin zu immunisieren, scheint nach ihrer Visite fraglich. Doch zumindest der von Orbán angestrebten Vision einer Freihandelszone zwischen der EU und der von Russland dominierten Eurasischen Union gab auch die Kanzlerin prinzipiell ihren Segen.