»Baal« bleibt am Ball

Berliner Theatertreffen lädt Castorf-Inszenierung ein

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Spannende Tage fürs Theater gehen mitunter über ganz andere als über die landläufig bestallten Bühnen. Am gestrigen Montag zum Beispiel: Der Suhrkamp Verlag hat tatsächlich eine einstweilige Verfügung beim Landgericht München beantragt - gegen Frank Castorfs »Baal« am Residenztheater. Und just diese Brecht-Inszenierung gehört zu den nominierten zehn Aufführungen des 52. Theatertreffens, das vom 1. bis 17. Mai in Berlin stattfindet. Theaterexperten versus Rechtsexperten. Wobei Letzteren ein Blick in die verlagseigene Literatur empfohlen sei: Dem Traditionsdruck, so Suhrkamp-Autor Heiner Müller, könne man nur durch breites Experimentieren entgehen, und Brecht zu gebrauchen, ohne ihn zu kritisieren, das sei Verrat. Kritisieren? Das heißt: die Schlacht aufnehmen mit dem Material - darin der Traum wohnt, nicht länger nur toter Text zu sein.

Aus insgesamt 379 diskutierten Inszenierungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz hat die Journalisten-Jury weiter ausgewählt: »Atlas der abgelegenen Inseln« von Judith Schalansky, Regie: Thom Luz, Schauspiel Hannover; »Common Ground« von Yael Ronen und Ensemble, Regie: Yael Ronen, Maxim Gorki Theater Berlin; »Das Fest« nach dem Film von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov, Regie: Christopher Rüping, Schauspiel Stuttgart; »Die lächerliche Finsternis« von Wolfram Lotz, Regie Dušan David Pařízek, Burgtheater Wien; »Die Schutzbefohlenen« von Elfriede Jelinek, Regie: Nicolas Stemann, Thalia Theater Hamburg; »die unverheiratete« von Ewald Palmetshofer, Regie:Robert Borgmann, Burgtheater Wien; »John Gabriel Borkman« von Henrik Ibsen, Regie: Karin Henkel, Deutsches Schauspielhaus Hamburg; »Warten auf Godot« von Samuel Beckett, Regie: Ivan Panteleev, Ruhrfestspiele Recklinghausen/ Deutsches Theater, Berlin; »Warum läuft Herr R. Amok?« nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder und Michael Fengler, Regie: Susanne Kennedy, Münchner Kammerspiele.

Das Theatertreffen ist Publikumsfestival, Branchentreffen und Campus. Es gibt Diskussionen, Preisverleihungen und Premierenpartys sowie Konzerte und Übertragungen auf Leinwand. Der Stückemarkt präsentiert aktuelle Stücke europäischer Autoren. Dem Regisseur, Schauspieler und Autor Rainer Werner Fassbinder, der im Mai siebzig würde, ist ein »Focus Fassbinder« gewidmet.

Gähnen wir uns kurz auch wieder in die Standards hinein: erneut kein Theater aus dem Osten nominiert, und wie kräftig offenbart sich das repräsentative Theater wirklich - als Lobby für Unterste und Hinterste und Fernste und Schwächste? Ja, gähn, gähn, denn der Gesinnungsfaktor taugt nicht wirklich. Allesamt sind die ausgewählten Aufführungen Spiegel einer zerrissenen Welt, sie lehnen jedes Versöhnungspathos ab und jede Schönheit und jede moralstiftende Pose, die angesichts der Zustände doch nur lügen würde. Castorf, der auch im vergangenen Jahr nominiert worden war (mit Célines »Reise ans Ende der Nacht«) ist mit »Baal« der glänzende Altmeister: rücksichtslos asozial, wüst undurchdringlich.

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