nd-aktuell.de / 05.02.2015 / Kultur / Seite 18

Die Diktatur des Losers

Im Kino: »Foxcatcher« von Bennet Miller

Tobias Riegel

Das Anwesen des Milliardärs-Clans der Du Ponts in Pennsylvania beherbergt neben viel teurem Nippes und verschütteten Familienkonflikten auch ein Trainingscenter für Ringer. Dies war der Ort, an dem das alte Geld die jungen Männer aus der Unterschicht (aus-)hielt, um Barmherzigkeit zu demonstrieren - und um eigene, merkwürdige Obsessionen auszuleben.

Steve Carell ist John Du Pont. Der US-Mime spielt den bedrohlich exzentrischen Milliardär nicht - er verwandelt sich in ihn. Diese fast unheimliche, chamäleon-hafte Aneignung des realen (in Youtube-Videos überprüfbaren) Vorbilds ist für Carell der Aufstieg vom Mainstream-Clown zum Charakterdarsteller erster Güte.

Regisseur Bennet Miller hat ein nebelverhangenes Meisterstück geschaffen, einen Alptraum aus Braun und Beige und langen, nervenzerrenden Einstellungen. Die bizarre Charakterstudie ist ein Erlebnis, sie übertrifft Millers »Capote« und »Moneyball«. Der Film stellt mit seinem grimmigen Ernst, mit seiner Langsamkeit und Düsternis »Birdman« und die anderen Oscar-Favoriten in den Schatten.

Mark Schultz (überraschend verletzlich: Channing Tatum) war 1984 Olympia-Sieger im Ringen und hat den sportlichen Zenit überschritten. Vereinsamt hält er sich verbissen an die Trainingsroutine mit seinem Bruder Dave (wie Carell zu Recht oscarnominiert: Mark Ruffalo). Da erhält der deprimierte und unterwürfige Mark das Angebot, unter besten Bedingungen auf dem Du-Pont-Gelände eine Ringermannschaft für Olympia 1988 zu trainieren: die »Foxcatcher«.

John Du Pont ist der tragische, unfähige Thronfolger, gefangen in der Milliardärs-Maschine, von der tyrannischen Mutter entwürdigt, insgesamt lebensuntüchtig. Letzteres ist Mark Schultz ebenfalls. Doch der kann sich keine Ex-Sportler zum Manipulieren kaufen.

Über der Szenerie liegt der Nebel eines subtilen Grauens - keines Horror-Grauens, sondern eines Schreckens, den ein fieser, unverdient Privilegierter mit seinen Lockmitteln verbreiten kann. Die Diktatur des Losers.

Das »hinterlistig-fesselnde« (»Variety«) psychologische Drama erinnert mit seinen grotesken Figuren an die Abhängigkeits-Farce »Liberace« - ersetzt dessen schrille Szenerie aber durch konsequent leise Töne. Es ist der seltene Fall eines Sportlerfilms, der in einer Liga mit Martin Scorseses »Raging Bull« spielt - weil er alle Elemente vermeidet, die mit dem oft billig-emotional inszenierten Genre assoziiert werden: Es gibt keine Fanfaren, keine Siege in letzter Sekunde, keine Zeitlupen und keinen Pathos. Beim Training und auch beim Wettkampf riecht man den abgestandenen Schweiß noch aus der Leinwand. Die Schuhe quietschen auf speckigen Gummimatten, während sich Mark und Dave Kommandos zuwispern. Die Ringer verwandeln sich bei der Arbeit in geduckte Schattenboxer. Ihr Daseinszweck scheint in der gelungenen Täuschung zu liegen. Dennoch gelingt es Du Pont, sie zu täuschen.

Dave ist der eloquente und gut aussehende Fuchs, der hier gefangen werden soll. Mark ist der Köder, der tumbe Tropf, der im Ring zur Urgewalt wird und nach dem Kampf zu einem Häufchen Elend zusammenfällt.

Dass Miller mit dieser Charakterzeichnung nicht ganz falsch liegt, zeigt auch ein in seiner Härte merkwürdiger Sinneswandel des echten Mark Schultz dem Film gegenüber - nachdem Kritiker im Film Indizien für sexuelle Ausbeutung durch John Du Pont entdeckt haben wollten. Noch kürzlich bescheinigte Schultz dem Regisseur, Miller habe die »dunkelste Phase« von Shultz’ Leben »auf ihr Herz kondensiert«. Heute denkt er anders, wie er bei Twitter schreibt: »Alles Positive, das ich über den Film gesagt habe, nehme ich zurück. Ich hasse ihn. Ich hasse ihn. Ich hasse ihn. Ich hasse ihn. Ich hasse ihn. Ich hasse ihn.«