Studieren mitten im Krieg

In Syrien wurde 2005 eine internationale Universität als deutsch-syrisches Kooperationsprojekt gegründet. Seit Verhängung der EU-Sanktionen liegt die Zusammenarbeit auf Eis. Von Karin Leukefeld

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 4 Min.

Es hat geregnet in der Nacht, langsam steigt die Sonne auf, alles wirkt friedlich auf dem Weg ins Wadi al-Nasara, ins Tal der Christen westlich von Homs. In langen, harten Kämpfen haben die syrische Armee und die libanesische Hisbollah das Grenzgebiet von den Kampfgruppen »gereinigt« und unter Kontrolle gebracht.

Viele Kämpfer sind zurück in den Libanon geflohen, andere haben sich in die Kampfzonen um Aleppo oder um Damaskus abgesetzt, wo sie sich noch radikaleren Gruppen wie der Nusra Front oder dem selbst ernannten »Islamischen Staat im Irak und in der Levante« angeschlossen haben. Die bezahlen besser und haben bessere Waffen. Viele ehemalige Kämpfer haben aber auch ihre Waffen niedergelegt und sind zu ihren Familien, in ihren Beruf oder in die syrischen Streitkräfte zurückgekehrt. Wie in Homs hat der langwierige Prozess der Versöhnung auch in anderen Teilen Syriens begonnen. Rückschläge inklusive.

An der Abzweigung ins Tal der Christen haben Armee und Geheimdienst einen Kontrollpunkt eingerichtet. Ausweise und Fahrzeuge werden kontrolliert, bei Ausländern dauert es etwas länger. Ein junger Mann knattert mit seinem Motorrad vorbei und fährt auf eine nahe gelegene Baustelle, wo ein einsamer Bagger steht. Er parkt sein Moped, geht um den Bagger herum und kramt aus seinen Taschen einen Schlüsselbund. Dann schließt er die Tür zum Fahrerhaus auf und beginnt mit seiner täglichen Arbeit. Gräben werden ausgehoben, um neue Leitungen zu verlegen, normaler Alltag.

Nicht weit vom Kontrollpunkt entfernt führt eine schmale neu angelegte Straße hoch auf einen Hügel hinauf. Dort thront die Internationale Wadi Universität, ursprünglich ein deutsch-syrisches Kooperationsprojekt. Doch anders als die Kreuzritterburg Krak des Chevaliers, deren hoch aufragende Festung vom Campus der Wadi Universität zu sehen ist, ist das Universitätsgebäude eine moderne Kreation aus Glas, Stahl und Beton.

Gegründet wurde die Universität 2005. Damals hob Syrien das staatliche Monopol im Bildungsbereich auf und im ganzen Land sprossen private Schulen und Universitäten aus dem Boden. Im Rahmen der Verhandlungen über ein EU-Assoziierungsabkommen mit Syrien waren die östlichen Mittelmeerländer Partner im Euro-Mediterranen Bündnis und im Barcelona Prozess geworden, so dass bilaterale universitäre Bildung und Ausbildung möglich geworden war.

Die Idee für die Wadi Universität hatten Syrer, die in Deutschland lebten, die aber etwas für ihr Land tun wollten. Einer stellte das Grundstück zur Verfügung, andere nutzten ihre Kontakte zur syrischen Regierung, wieder andere nahmen Kontakt mit dem Deutschen Akademischen Auslandsdienst (DAAD) auf.

Angefangen wurde klein in einem Hotel, dann wurden Unterkünfte für die Studierenden gebaut, schließlich der neue Campus auf dem Berg in Sichtweite des Krak des Chevaliers. Engagierte Unterstützung gab es von den Universität Oldenburg und von der TU Brandenburg, von den Universitäten Cottbus und Braunschweig. Herausragend begleitet wurde das Projekt aber von dem Professor für Angewandte Informatik und Wirtschaftsinformation, Claus Rautenstrauch von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. An den »Pionier der deutsch-syrischen Zusammenarbeit«, der 2008 starb, erinnert ein Gedenkstein im Universitätsgebäude.

Der neue Campus wurde 2009 eröffnet, erzählt der Präsident der Wadi Universität, Georges Kounsselie, ein Architekt. Neben Fakultäten für Architektur, Bauingenieurwesen, Technik und Design wird auch Wirtschaftsinformatik und neuerdings auch Zahnmedizin angeboten. Bisher war ein bilaterales Studium in Deutschland und Syrien möglich, doch seit die Europäische Union 2011 Sanktionen gegen Syrien verhängte, liegt die Zusammenarbeit auf Eis. Die Bundesregierung rief alle deutschen Einrichtungen aus Syrien ab, auch der DAAD musste sein Büro schließen. Die Studierenden könnten zwar noch nach Deutschland fahren, um dort ein Gastsemester zu absolvieren, sagt Professor Kounsselie, allerdings wurde die finanzielle Unterstützung dafür von Deutschland eingestellt. Es sei schwierig für die Studierenden, ein Visum zu erhalten. Die deutsche Botschaft in Damaskus hat geschlossen und die Botschaft in Beirut ist zuständig. Der Weg sei lang und teuer und es fehle in Beirut auch eine Ansprechperson an der Botschaft. Deutschen Professoren ist die Reise nach Syrien untersagt und so trafen sich 2013 Professoren und Studierende im Libanon, um sie auf die Prüfungen vorzubereiten.

800 Studierende hat die Wadi Universität derzeit, erläutert Professor Kounsselie. Die meisten kommen aus den Orten im Wadi al-Nasara, aus Homs und aus Tartus. Trotz aller Schwierigkeiten, die es neuerdings mit Deutschland und Europa gebe, hoffe er darauf, dass die Zusammenarbeit bald weiter ausgebaut werden könne. Als Architekt hat Kounsselie lange im Programm für Stadtentwicklung gearbeitet, das mit dem Krieg eine ganz neue und dringende Bedeutung erhalten habe. Der Krieg sei an der Universität vorübergezogen, sagt der Professor leise. Drei Studenten wurden auf dem Weg von Scharfschützen erschossen. Doch Kämpfe wie im nahe gelegenen Krak des Chevaliers, wo Kampfgruppen sich Monate lang verschanzt hatten, gab es »Gott sei Dank« nicht.

Anfang April wird eine Delegation der Internationalen Wadi Universität Deutschland besuchen, um die von deutscher Seite eingefrorene Kooperation wieder zu beleben. Mit den Universitäten in Cottbus und Magdeburg habe man schon Termine, sagt Professor Kounsselie. Mit dem DAAD nicht.

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