nd-aktuell.de / 11.02.2015 / Politik / Seite 3

Moralische Verpflichtung, historische Verantwortung

Griechenland begehrt Reparationen von Deutschland und die Rückzahlung einer NS-Zwangsanleihe - doch Berlin stellt sich stur

Anke Stefan 
und Tom Strohschneider
Die SYRIZA-geführte Regierung hat die Entschädigung für Nazi-Kriegsverbrechen auf die Agenda des Streits um die Schulden Griechenlands gesetzt. Berlin will von einer Verantwortung nichts wissen.

Alexis Tsipras hatte sich die Überraschung für den Schluss aufgehoben. Der griechische Ministerpräsident beendete am Sonntagabend die Vorstellung seines Sofortprogramms mit einer Ankündigung, die bei Erfüllung einen Teil des Schuldenproblems Griechenlands lösen könnte. Er habe eine »moralische Verpflichtung, nicht nur gegenüber unserem Volk, sondern auch gegenüber der Geschichte, gegenüber allen Völkern Europas, die gegen den Faschismus gekämpft und ihr Blut gegeben haben«, sagte der SYRIZA-Chef. Diese »historische Verpflichtung« bestehe in der »Einforderung des Zwangsdarlehens und der Reparationsforderungen aus der Zeit der Nazibesatzung«.

Die Frage nach einem Anspruch Griechenlands auf Entschädigung für die von den Nazi-Besatzern im Zweiten Weltkrieg verübten Kriegsverbrechen ist auch nach Jahrzehnten politischer und juristischer Auseinandersetzungen ungeklärt. Für von den Nazis verübte Massaker haben die Opfer nie eine Entschädigung erhalten. Klagen von Angehörigen der Opfer in Griechenland oder Italien scheiterten an der Staatenimmunität, nach der Angelegenheiten eines Staates nicht vor Gerichten eines anderen Staates beurteilt werden können.

In der Vergangenheit hatten sich griechische Regierungen sehr zögerlich gezeigt, etwaige Ansprüche gegenüber dem deutschen Staat geltend zu machen. Eine erfolgreiche Klage vor dem Obersten Gerichtshof führte 2000 zwar zu einem Beschluss zur Pfändung des Goethe-Institutes in Athen. Seine Vollstreckung wurde aber vom griechischen Finanzminister verhindert. Erst im Zuge der Krise und auf massiven öffentlichen Druck war 2012 eine Expertenkommission eingesetzt worden, welche die noch offenen Forderungen an Deutschland auflisten sollte. Das Ergebnis ist bis heute unter Verschluss, durchgesickerten Informationen zufolge kommt die Kommission »bei vorsichtigen Schätzungen« auf Forderungen von mehr als 100 Milliarden Euro.

Die will Berlin nicht zahlen. Das Argument: Mit dem Wiedergutmachungsvertrag, den Deutschland und Griechenland 1960 abgeschlossen haben, sei die Frage der Reparationen »abschließend geregelt«. Diese Position haben auch schon frühere Bundesregierungen eingenommen.

Die Bundesregierung bezieht dabei auch ein von den Besatzern aufgezwungenes Darlehen ein. Allein die Rückzahlung dieses Zwangskredits, den Nazi-Deutschland den Griechen 1942 abpresste und der zu Kriegsende 476 Millionen Reichsmark wert war, könnte heute zwischen 11 und 17 Milliarden Euro in die Kasse des Mittelmeerlandes spülen. Doch Berlin sieht eine Rückzahlung der Zwangsanleihe »formal ohne Weiteres als Reparationsforderung« an - und diese gilt damit für die Große Koalition als abgegolten.

Experten des Bundestags hatten in der Vergangenheit dazu allerdings auch schon andere Positionen formuliert. Die griechische Forderung nach Rückzahlung der Zwangsanleihe könne auch als Geltendmachung eines vertragsrechtlichen Darlehensrückzahlungsanspruches betrachtet werden, heißt es in einer Expertise. In einem anderen Gutachten wird die Rechtsauffassung der Bundesregierung als aus völkerrechtlicher Sicht nicht zwingend bezeichnet.

Die LINKE-Politikerin Ulla Jelpke forderte die Bundesregierung auf, im Streit um die Reparationsfrage »Recht und Anstand« nicht zu übergehen. Die griechischen Forderungen seien »gerechtfertigt«. Mit Blick auf den Streit um die Rückzahlungsmodalitäten der aktuellen Schulden Griechenlands meinte Jelpke zudem: »Abgesehen von seiner historischen Verantwortung für das in Griechenland verübte NS-Unrecht, der sich Deutschland nicht entziehen kann, muss sich die Bundesregierung der Frage stellen, ob die Pflicht zur Rückzahlung von Krediten eigentlich auch für sie gilt.«