Viel Pressluft

»Der geteilte Himmel« nach Christa Wolf an der Schaubühne Berlin

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Eiswürfel: aus Kunststoff. Die Träume: aus Lügenstoff. Und die Liebe ist überhaupt nur - aus. In Christa Wolfs Erzählung »Der geteilte Himmel« (1963) zerbricht ein Paar an der Weltentrennung. 1961, die Mauer steht bald: Ritas Geliebter Manfred, Chemiker, alltagszermürbt, geht in den Westen. Rita bleibt. Der große Grund, Heimat, siegt bei Christa Wolf, er macht den doch weit größeren Grund, Liebe, letztlich zum kleineren Grund. Was bleibt, ist ein kalter, brüchiger Boden der öden Tatsachen. Trotzig, trübsinnig Sozialismus genannt.

Diesen (Bühnen-)Boden haben die Schauspieler, schwere Eimer schleppend, mit besagten Eiswürfeln übersät. Eine minutenlange Prozedur. Die Langsamkeit, das Mürbende, das Träge - Armin Petras hat’s zum Kern seiner Nach-Erzählung an der Berliner Schaubühne erhoben. Die Bühne von Annette Riedel ist ein Steg zwischen zwei Zuschauerblöcken. Das gewürfelte Eis, was erzählt’s? Kalter Krieg, Stolperstrecke, oder als seien die spitzscharfen Glasscherben, die das Überwinden einer Mauer verhindern sollen, nun zur Fußangel geworden. Lebens Lauf: ein Training für Fakire. Aufrechter Gang wird Krümmung.

Dreimal Rita: Rita ist glücklich, denn ihr Herz schlägt in der Brust des Geliebten. Rita ist unglücklich, denn der Geliebte bringt es nicht übers Herz, dieses gemeinsame Glück zu tragen - so, wie man etwas über den Berg der Schwierigkeiten bringt. Und: Rita erinnert sich - sind Glück und Unglück vernarbt? Petras verlängert nämlich die Erzählung über 1989 hinaus. Bei Whisky und Zigarette treffen sich Rita und Manfred: ungelenke Wiederbegegnung. Wiedervereinigung nicht. Das Eis ist längst in die Körper gewachsen. Fremdheit spricht, also: viel Schweigen.

Fremdheit - ein Zugangswort. Denn es ist, als sei Armin Petras, regieführend, seltsam ermattet gewesen. Auch wenn er fremde Literatur neu formte (Schleef, Hein, Bräunig, Heym), da war doch meist eine große Lust an aufgeräumt kindlicher Zeichen-Setzung am Werk; die Wirrnis menschlichen Trachtens wurde übersetzt in eine sehr eigene, sozusagen hochdifferenziert grobkörnige, oft clowneske Bildwelt. Die Vereinfachung als List, um ins lastend Schwere des Lebens vorzudringen.

Jetzt aber bietet Petras einen anderthalbstündigen, auf drei Rollen verteilten, temperaturgedimmten Essay. Darüber, wie jede Gegenwart eine falsche Vorstellung hat und jede Vergangenheit aus falscher Erinnerung besteht. Die Welt der Rita gibt es nicht mehr, die Welt, in die Manfred »abhaute«, freilich auch nicht. DDR, BRD: heute nur noch Transit, durch die das Gedächtnis in immer größerem Tempo hindurchrennt. Und aus der Zeit der raren Reisepässe ist eine Gesellschaft geworden, die ständig Laufpässe verteilt - fürs »innerste Land, die Fremde«, wie Volker Braun schrieb: »Du mußt die Grenze überschreiten/ Mit deinem gültigen Gesicht«. Also mit der Maske, mit der du dich in der Konkurrenzarena feilbieten musst - um nirgends erkannt, aber doch überall anerkannt zu werden.

Das wird hier kaum Gestalt, das ist hier Hoheitsrecht kluger, allgemeiner, abgeklärter Sätze (»Nichts wird anders«, »Der Kern der Gesundheit ist Anpassung«). Der Alltag des jungen Paares - beim Frühstück, bei der Bettlektüre von Christa Wolfs »Der geteilte Himmel«, bei der Sternenschau - findet als hastiger Videofilm statt. Wirkliche Einsicht in die Geschichte selbst interessiert hier nicht. Petras gibt mit seiner Regie Einblick in das Empfinden einer Generation, die keinen wirklichen Sinn mehr haben kann für den beharrlichen, aufrichtig tapferen Utopietrotz einer Christa Wolf. Die Inszenierung offenbart somit, wie ein Erzählgrund erkaltend in die Geschichte absackt. DDR-Arbeitsethos im Waggonwerk, das ist hier (wieder minutenlang) eine vom Grinsen der Akteure begleitete sinnlose Presslufthämmerei auf dem Bühnenboden). Verebbt die Hämmerei: viel Pressluft bleibt.

Jule Böwe ist eine seelenverletzte Rita, die in ihrer erzwungenen Vernunftwerdung sichtbar altert, das rührt und rupft schmerzlich am Gemüt. Ein Wesen wankt, ein Wehen wogt in unsicheren, traurigen Bewegungen. Und in einem trotzigen Stampfmarsch rund um den Zuschauerraum. Kay Bartholomäus Schulze ist der Arzt, der das Mädchen nach dessen Zusammenbruch behandelt hatte - ein gelassener, leicht zynisch angehauchter Kommentator der existenziellen Unabänderlichkeiten. Und Tilman Strauß als Manfred: Er darf sich aus verhemmter Redlichkeit in die Verzweiflung steigern und gibt der Aufführung somit überraschend belebende Momente. Seine Ausbrüche gegen die staatlich organisierte Agonie und Bewusstseinsbefummelung durch die Partei - er schleudert sie Rita entgegen. Bebende, schier kotzende Selbsterkenntnis: Der Mensch ist kein Versuchsobjekt für pädagogiksüchtige Gremien. Da kann einer nicht mehr aus seiner Haut, die er im Westen möglicherweise zu Markte tragen muss, aber: Ihm muss fortan nicht mehr so böse unter die Haut gehen, was im Osten nur immer unter den Teppich gekehrt wird. Am Ende die Kunde: Gagarin im Himmel. Es darf wohl eher an Heiner Müller gedacht werden, der Gagarin sagen lässt: »Dunkel Genossen ist der Weltraum sehr dunkel.« Weltraum, das ist der Herzraum - wo die Sehnsüchte gegen die Wände schlagen, laut, eine Tonspur der Träume, die im Donnern der Welt untergeht.

Gespielt wird wenig. Sprödigkeit lastet. Petras will keinen Erzählungs-Nachvollzug, er will das existenzielle Puzzle, den Gedankenschub, er liefert immerhin den Anstoß zur Irritation, den jedes Leben nötig hat. Woran wir festhalten, das besiegelt immer auch ein Stück Sterben. Was wir ändern, ändert nichts an neuen Stillständen. Lebt man auch immer bewusst, was man am eigenen Leibe erfährt? Wird man je wirklich erfahren, was man gelebt hat? Die Welt bleibt geteilt, und ohne Antwort bleibt die Frage: Was ist Himmel, was Abgrund?

Nächste Vorstellungen: 16. Februar, 28. und 29. März

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal