nd-aktuell.de / 14.02.2015 / Kultur / Seite 18

Die britische Hauptstadt: Ein Häuptling ohne Indianer

Vielen Briten erscheint London heute wie von einem anderen Stern

In der DDR, Ostdeutsche erinnern sich, war die Hauptstadt ein Fall für sich. Der bevorzugte Liebling. Besseres Bier, mehr Obst, manchmal sogar Bananen. Berlins Beliebtheit »im Land« war dementsprechend.

Mit London verhält sich’s ähnlich. Die Hauptstadt entwickelt sich zu einem Häuptling ohne Indianer. Sie koppelt sich ab, führt ein Eigenleben, während Schottland und Wales, aber auch Englands Norden, Liverpool, Manchester oder Newcastle, ganz andere Sorgen haben.

Woher das kommt? Nun, London ist in den letzten Dekaden noch dominanter geworden, als es eh war. So sehr, dass es vielen Briten wie von einem anderen Stern erscheint - oder wie ein Amerikaner gegenüber der BBC erklärte: »Eine erstklassige Stadt mit einem zweitklassigen Land als Anhängsel.«

London überschattet den Rest als Polit- und Finanzmetropole. Auch wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch prägt das, was in London diskutiert wird, die Schlagzeilen andernorts. Alle wichtigen Medienunternehmen und die kulturelle Elite sind in London verankert. Die Zahlen favorisieren die Hauptstadt ebenfalls. Mit derzeit 8,3 Millionen Einwohnern ist London so groß wie die sechs nächstgrößeren Städte Britanniens zusammen - und anderthalb mal so groß wie Schottland.

London ist Weltstadt, umgeben von Landstrichen, die wirtschaftlich vor sich hin dümpeln. Wer was werden will, wird irgendwann dem Lockruf Londons nicht widerstehen können. Ein Fünftel der Landes-Wirtschaftsleistung und über die Hälfte der Wertschöpfung finden an der Themse statt. Drei Viertel aller neuen Jobs der vergangenen vier Jahre entstanden in London oder Umgebung. So übermächtig ist seine Position, dass allein wegen dieses Ungleichgewichts der Kitt des United Kingdom brüchig ist.

Dazu kommen weitere Gründe. Stichwort Immobiliensektor: In London bewegen sich die Immobilienpreise himmelwärts, in vielen Landesteilen herrscht Flaute. Laut einer Maklerfirma übersteigt der Marktwert der Immobilien in den zehn gefragtesten Bezirken Londons den des gesamten Häuserbestands in Schottland, Wales und Nordirland. Das alles erklärt, weshalb bei der Parlamentswahl Anfang Mai Forderungen nach Dezentralisierung eine große Rolle spielen werden. Die Indianer begehren auf, dem Häuptling stehen unruhige Zeiten ins Zelt. ron