Fehlende Daten als Beweis

In Sachen Philosophieunterricht an Grundschulen agiert die Regierung in Kiel im Blindflug

  • Olaf Harning
  • Lesedauer: 3 Min.
Evangelische und katholische Schüler nehmen am Religionsunterricht teil, alle anderen nur auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern. Das ist die Rechtslage in Schleswig-Holstein. Die Praxis ist es nicht.

Schleswig-Holsteins Grundschulen tun sich weiter schwer mit Alternativen zum Religionsunterricht. Obwohl das Schulrecht für Kinder ohne christlichen Hintergrund schon seit 2011 das Fach Philosophie vorsieht, wird der entsprechende Erlass an vielen Schulen ignoriert.

Grob geschätzt 40 Prozent der Grundschüler in Schleswig-Holstein gehören keiner oder jedenfalls keiner christlichen Religion an, Tendenz seit Jahren steigend. All diese Schüler nehmen nach geltender Rechtslage nicht am Religionsunterricht teil, solange ihre Eltern das nicht ausdrücklich fordern. Stattdessen erhalten sie nach § 7 des Landesschulgesetzes »gleichwertigen Unterricht« - in der Regel im Fach Philosophie. Soweit die Theorie.

Die Praxis ist an vielen Grundschulen des Landes eine andere: Weder werden die Eltern hier über die Rechtslage aufgeklärt, noch gibt es adäquaten Ersatzunterricht. Und wenn ein Elternteil querschießt, wird ihr Kind während des Religionsunterrichts auch schon mal mit Hörspielen in den Nebenraum gesetzt - so geschehen an einer Grundschule im Kreis Steinburg.

In welchem Ausmaß die Vorgaben missachtet werden, das aber konnte auch eine aktuelle Anfrage der Piratenfraktion nicht aufklären. »An wie vielen Schulen wird Philosophieunterricht angeboten?«, hatten die Abgeordneten Sven Krumbeck und Uli König darin wissen wollen, und: »Wie viele Schülerinnen und Schüler entscheiden sich für die Teilnahme am Philosophieunterricht?« Die Antwort von Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) ist dürftig: Fächerspezifische Daten würden bislang nur für die Oberstufe erhoben, ließ sie wissen, frühestens 2018 sei mit entsprechenden Informationen auch für Grundschulen zu rechnen.

Im Ministerium geht man dennoch davon aus, »dass der Erlass in der Regel umgesetzt wird«, wie Sprecher Thomas Schunck betont. Und zwar deshalb, weil man keine gegenteiligen Erkenntnisse habe. Für die allerdings würde wohl schon ein Anruf beim Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig-Holstein (IQSH) reichen, das im Auftrag des Bildungsministeriums die Wirksamkeit von Unterricht und Lehrerbildung verbessern soll. Erst kürzlich hatte Monika Krah-Schulte, Fachberaterin des IQSH für das Fach Philosophie, im Gespräch mit dem »Holsteinischen Courier« beklagt, dass viele Schulleiter die Vorgaben schlichtweg ignorieren und weiterhin »alle Kinder in den Religionsunterricht packen«.

Auch Anke Erdmann, bildungspolitische Sprecherin der Regierungspartei Bündnis 90/Die Grünen, kennt solche Beispiele. »Es ist richtig, dass es Probleme bei der Umsetzung gibt«, sagt sie gegenüber »nd«. Teilweise fehle es an geeigneten Lehrkräften für das Fach Philosophie, andernorts gebe es mit den Themen Inklusion und Unterrichtsversorgung wichtigere Probleme - »auch wenn die Erlasslage schön wäre«.

Während Eltern also vielerorts dicke Bretter bohren müssen, um ihren Kindern eine Alternative zum Religionsunterricht zu bieten, plant die Landesregierung bereits den nächsten Schritt: Ein von Bekenntnis gelöster und konfessionsübergreifend gestalteter Lehrplan wird angestrebt, erste Absprachen mit der Nordkirche gibt es bereits. Dass Schüler ohne konfessionelle Bindung dabei am Ende auf der Strecke bleiben könnten, weist Ministeriumssprecher Schunck zurück: »Wenn vom Religionsunterricht gesprochen wird«, sagt er, »denken wir das Thema Philosophie als Ersatzfach immer mit.«

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