Man muss 16 geben

Poesiealbum: Erhardt

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Humorist steht im Schatten des Komikers, der Scherz fühlt sich minderwertig gegenüber dem Witz. Will jemand als klug gelten, steht ihm der Schalk nicht gut zu Gesicht, der darf ihm höchstens im Nacken sitzen. Das jüngste Heft der Reihe »Poesiealbum« war Gertrud Kolmar gewidmet - was denn!, und jetzt Heinz Erhardt? Hui, hört man’s im Amt für hohe Maßstäbe knacken, denn da wird nun gewiss ein Stab nach dem anderen gebrochen. Über solcher Unbotmäßigkeit niederen Niveaus. Nein, herrlich! Eine gute Wahl.

Erhardt nahm das Wort wörtlich. So, wie man Gegenstände betastet, befühlt, so war ihm Bedeutung nichts Feststehendes, er be-deutete die Dinge, deutete an ihnen herum, bis sie anders klangen. »Bei glatten Straßen muss man sechzehn geben, also doppelt acht.« Seine poetische Logik war durchschlagend einfach: Wenn eine Unmenge mehr ist als Menge, dann ist Unsinn auch mehr als Sinn. In der Tradition von Wilhelm Busch und Eugen Roth entwickelte er seine tolle wie patschige Liebenswertschöpfung.

Erste autobiografische Notiz: »Schule wenig erfolgreich.« Der Nichtschwimmer und Brillenträger muss zur Kriegsmarine, tingelt dann als »singendes Schnellsprech-Talent« durch die Zeiten. Blödelei und Nonsens, gepaart mit ungelenker Bärbeißigkeit, finden Wege in den Rundfunk, in den Film, ins Fernsehen. Verdutzt-überforderter Biedermann, plustrig-rachsüchtiger Buchhalter Willy Winzig, trottlig erziehungsbeflissener Familienvater, und auch im Vers ein betulicher Ordnungs-Hüter. Der freilich einen präzisen Fühler hat für genau den Punkt, da just diese hurtige Folgsamkeit umschlägt in Sprengkraft und Chaos. Er wird Deutschlands erster Schelm, mit klarer Philosophie: »Ich wälze nicht schwere Probleme/ und spreche nicht über die Zeit./ Ich weiß nicht, wohin ich dann käme,/ ich weiß nur, ich käme nicht weit.« Erhardt ist der Morgenstern am Adenauer-Himmel; die Figuren, die er in Buch und auf Bühnen gab, waren Nachfahren des Diederich Hessling aus Kaisers Zeiten - der nun wichtigkeitshybrid durchs Wirtschaftswunderland hechelt und hippelt.

Erhardts Vers siedelt weit ab vom geölten Gram jener Schreibstuben-Radikalauer, die Bosheit (also das, was sie dafür halten) abrufen wie einen vor Urzeiten gelernten Text. Nie hat er missachtet, dass das sogenannte Allgemeinmenschliche stets das sehr konkret Menschliche ist. »Voller Sanftmut sind die Mienen/ und voll Güte ist die Seele,/ sie sind stets bereit zu dienen,/ deshalb nennt man sie Kamele.«

1979 stirbt Erhardt, Jahre zuvor hatte er einen Schlaganfall erlitten. Ein wahrer Schlag: Ausgerechnet ihn strafte das Schicksal mit achtjähriger, unabänderlicher Sprach- und Schreibunfähigkeit. Traum und Tatsächlichkeit, Werden und Vergehen, Spiel und Schauder in zwei Verszeilen: »Schön ist der Herbst, solange noch Mai ist,/ schön ist der Leutnant, solang er aus Blei ist.«

Poesiealbum 316: Heinz Erhardt. Hrsg. von Ernst Röhl. Grafik von Reiner Schwalme. Märkischer Verlag Wilhelmshorst. 32 S., brosch., 5 €.

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