Zwei Millionen Stunden nur für Fußball

Einsätze der Polizei in zehn Jahren verdoppelt

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 2 Min.

Fehlende Polizei kann irritieren: »Ortsunkundige HSV-Fans mussten am Kölner Hauptbahnhof Passanten nach dem Weg fragen, weil dort, anders als früher, keine Polizei stand, um sie ins Stadion zu begleiten.« Für Ralf Jäger, SPD-Innenminister von Nordrhein-Westfalen, zeigt die Orientierungslosigkeit der Fans zu Beginn der Fußballsaison 2014/15 den Erfolg seines Projekts: Den Weg ins Kölner Stadion haben die Anhänger schließlich selbst gefunden - und Ralf Jägers Polizeibudget wurde nicht für unfreiwillige Stadtführungen oder Auskunftsdienste belastet, auf die in der Regel weder Fußballfans noch Polizisten große Lust haben.

Zu Beginn der laufenden Saison hatte Jäger in NRW ein Pilotprojekt gestartet, das über vier Wochenenden weniger Polizei bei Fußballspielen ohne erhöhtes Risiko vorsah. Der Versuch endete im September 2014, um ein Fünftel wurde die Polizeipräsenz bei den Spielen verringert, bei der Partie Dortmund gegen Freiburg sogar um rund die Hälfte.

Bundesweit indes hat sich die Zahl der Einsatzstunden der Polizei bei Fußballspielen der ersten beiden Ligen in den vergangenen zehn Jahren in etwa verdoppelt - von rund 930 000 in der Saison 2003/2004 auf rund 1,94 Millionen in der Saison 2013/14. Dies geht aus dem Jahresbericht der Zentralen Informationsstelle für Polizeieinsätze (ZIS) hervor. Ebenso steigende Zahlen von Strafverfahren und Verletzungen bei und um Fußballspiele herum zeigen jedoch nicht, dass der Besuch von Fußballspielen gefährlicher geworden ist. So hat sich die Anzahl der jährlichen Strafverfahren analog zu den Einsatzstunden seit 2003 verdoppelt, auch die wegen Körperverletzung. Die Anzahl der Strafverfahren in Bezug auf die Einsatzstunden ist allerdings gleich geblieben, auf 1000 Einsatzstunden kommt konstant etwa in Strafverfahren wegen Körperverletzung.

Hier tritt vielmehr das »Lüchow-Dannenberg-Syndrom« auf, ein Begriff aus der Kriminologie, der ein statistisches Phänomen beschreibt: Die Erhöhung der Polizeipräsenz an einem Ort erhöht die Anzahl der statistisch erfassten Vergehen und Verbrechen. Anfang der 1980er Jahre im Wendland kasernierte Polizisten wurden außerhalb der Gorleben-Einsätze auch für normale Streifendienste eingesetzt. Die Polizei erhöht dabei nicht die Kriminalität, wie der zu kurze Schluss lauten könnte - das Dunkelfeld, in dem Vergehen und Verbrechen bisher unbemerkt blieben, verkleinert sich einfach.

Von 18,5 Millionen Besuchern in den Stadien der ersten beiden Ligen wurden 2013/14 laut ZIS 1281 Menschen verletzt (darunter 361 Polizisten). Nachdenklich sollten auch die Polizei allerdings Verletzungsursachen machen: Durch abgebrannte Pyrotechnik wurden in der vergangenen Saison 110 Menschen verletzt - durch »polizeilichen Reizstoff«, also hauptsächlich Pfefferspray, dagegen 160.

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