Mit Recyclingsocken für Kurdistan

Der Verein PHNX will medizinische Hilfe mit fair produzierter Sportbekleidung finanzieren

  • Kerstin Ewald
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Dezember eröffnete in Neukölln ein außergewöhnlicher Laden. Mit ihm versucht eine Gruppe sportbegeisterter Linker neue Wege der globalen Solidarität.

Charmant improvisiert und mit dem kreativen Einsatz einiger Fundstücke vom Berliner Pflasterstrand präsentiert der Outdoor Laden Mount Fair sein Sortiment. Seit Dezember 2014 werden in der Neuköllner Böhmischen Straße 53 bunte Socken und Regenjacken aus ehemaligen Plastikflaschen, vegane Boxhandschuhe, Schlafsäcke mit Daunen aus artgerechter Haltung und warme Winterjacken aus dem neuesten Hightechmaterial verkauft. Die Jacken eines Herstellers kann die Kundschaft sogar nach Gebrauch in Zahlung geben, das Material soll dann wiederverwendet werden. »Wir versuchen, möglichst ökologische Produkte anzubieten. Die wichtigsten Kriterien bei der Auswahl unserer Produkte sind aber eine gute Qualität und faire Arbeitsbedingungen bei der Herstellung«, erklärt Sven Ismer. Er sitzt mit Mütze und Daunenweste hinter der Ladentheke von Mount Fair. Der mobile Gasheizer hinter ihm macht sich, was die Temperatur im Ausstellungsraum angeht, kaum bemerkbar.

In der Frage, was unter »fairen Arbeitsbedingungen« zu verstehen ist, vertraut die Gruppe PHNX/Mount Fair unter anderem auf die Einschätzung der »Fair Wear Foundation«. Viele Firmen, deren Produkte bei Mount Fair verkauft werden, sind Mitglieder in dieser Stiftung. Sie wurde 1999 auf Betreiben von Gewerkschaften und der internationalen »Kampagne für Saubere Kleidung« - in der u.a. Eine-Welt-Gruppen, Kirchengruppen, Lateinamerika-Solidaritätskomitees, Nichtregierungsorganisationen organisiert waren - gegründet. Ihren Mitgliedsfirmen schreibt die Fair Wear Foundation unter anderem die »Zahlung eines existenzsichernden Lohnes«, »Versammlungsfreiheit und das Recht auf Tarifverhandlungen« sowie »keine Diskriminierung bei der Beschäftigung« vor.

Sven Ismer und seine Mitstreiter, drei Frauen, drei Männer, arbeiten im Moment noch ehrenamtlich für PHNX/Mount Fair. Später wollen sie Angestellte des Vereins werden und zumindest einen Teil ihres Lebensunterhaltes durch diese Arbeit bestreiten. Es sind Leute zwischen dreißig und vierzig Jahren, die ihr Organisationstalent und ihr Potenzial an Kreativität zum Teil durch jahrelange Mitarbeit auf dem linken Musikfestival »Fusion« unter Beweis gestellt und die Ausbildungen in den Bereichen Medizin, Technik und Gesellschaftswissenschaften gemacht haben. Im Kollektiv sollen die verschiedenen Arbeitsbereiche von PHNX gestemmt werden, der Laden Mount Fair und die humanitären und medizinischen Projekte, welche der Laden mitfinanzieren soll. Eines dieser Projekte ist gerade in Westkurdistan/Rojava angelaufen.

Sebastian Jünemann Organisationspsychologe und Rettungsassistent hat für PHNX im Herbst 2014 an einer Delegationsreise durch das zu der Zeit noch stark umkämpfte Westkurdistan/Rojava teilgenommen. Aufgerufen zu dieser Tour hatte der Verein Civaka Azad mit Sitz in Frankfurt. Die Gruppe um Sebastian Jünemann recherchierte die politische Situation und zum Stand der medizinischen Versorgung in Rojava. Sie sprach dafür mit vielen Vertretern und Vertreterinnen der lokalen Zivilgesellschaft, unter anderem mit dem »Kurdischen Roten Halbmond« und dem örtlichen Gesundheitsparlament. Die Reise hatten für PHNX Informationen bestätigt, wonach die medizinische Struktur Rojavas völlig am Boden liegt und Verletzte nur noch notdürftig versorgt werden können. So entwickelte PHNX ein Konzept, welches neben der Unterstützung der Menschen vor Ort durch medizinische Teams und fehlende Verbrauchsgüter auch ein auf die Region angepasstes Konzept für die Ausbildung medizinischen Personals beinhaltet. Bald werden wieder Rettungsassistenten mit ehrenamtlichen Ärzten nach Rojava reisen und Freiwillige der Gegend zu Multiplikatoren ausbilden.

Für PHNX verarbeitete Sebastian Jünemann seine Erfahrungen vergangener Katastropheneinsätze. Er war 1999 nach Hurrikan Mitch in Nicaragua und 2010 nach dem schweren Erdbeben in Haiti im Einsatz, um mobile Kliniken zu koordinieren. »Mein Eindruck war, dass die Einsätze in Katastrophengebieten oft so organisiert werden, wie sie sich medial gut darstellen lassen. Das fördert nicht immer eine sinnvolle Organisation der Arbeiten, oft behindert dies die Einsätze sogar«. Die optimale mediale Verbreitung der Katastrophenhilfe fördert die Spendenbereitschaft und von dieser hängen viele Organisationen ab.

So entstand die Idee des Mount Fair Ladens. Mit ihm wollen die Aktivisten und Aktivistinnen von PHNX eine Einkommensquelle schaffen, die sie bei ihren sozialen und medizinischen Projekten unterstützt »Wir wollen uns dabei voll auf die Kommunikation mit unseren Partnern vor Ort konzentrieren und eine Arbeit leisten, die wirklich gut an die Bedürfnisse der jeweiligen Region angepasst ist.«

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