nd-aktuell.de / 17.02.2015 / Politik / Seite 6

Schluss mit lustig

»Helau« und »Alaaf« gehören zu Deutschland - doch wie ist das mit dem Schutz von politischen Demonstrationen?

René Heilig
Karneval gehört zu Deutschland. Offenbar. Mit Rosenmontagszügen an Rhein und Main hatte der Straßenkarneval seinen Gipfel erreicht. Trotz der Absage des närrischen Treibens in Braunschweig.

»Terror hat nichts mit Religion zu tun«, stand auf einem Düsseldorfer Motivwagen. Ein anderer Wagen zeigte gleichfalls am Montag in Düsseldorf Skelette mit der Aufschrift ,»Al Qaida« und »IS«. In Köln fuhr wider Erwarten ein Wagen mit, der an den Anschlag auf das französische Satiremagazin »Charlie Hebdo« erinnerte. Fast zeitgleich informierten Polizeipräsident Michael Pientka und Innenminister Boris Pistorius (SPD) nicht-öffentlich den Innen- und Verfassungsausschuss des niedersächsischen Landtags über die Ad-hoc-Absage des Braunschweiger »Schoduvel« am Sonntag. Keine Namen, keine Quellen, nichts. Nur Andeutungen. Auffällig ist: Bundesbehörden halten sich völlig raus.

»Wenn es konkrete Hinweise darauf gibt, dass Menschen gefährdet sein könnten, muss die Sicherheit dieser Menschen Vorrang haben«, sagte Niedersachsens Innenminister und ergänzte: Die Informationen über einen möglichen Terroranschlag stammten »von einer Person, die wir kennen und die wir auch einschätzen können«. Damit ist offensichtlich ein V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes gemeint. Von einem Großanschlag oder einem geplanten Messerangriff wurde gemunkelt. Gerüchte über »Schießereien oder Bombenfunde« wurden indessen dementiert. Die Landespolizei und die Staatsanwaltschaft in Hannover ermitteln wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Von möglichen Festnahmen und Durchsuchungen wurde nichts bekannt.

Wenige Stunden vor dem Braunschweiger Sonntagsalarm hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) mit Blick auf die aktuellen Anschläge in Kopenhagen noch von einer abstrakten Gefahr gesprochen. Kurz darauf fragt Oliver Malchow, Bundeschef der Gewerkschaft der Polizei: »Wie lange kann die Polizei bei der ständig wachsenden Anzahl gefährlicher Personen aus dem islamistisch-terroristischen Umfeld den Fahndungsdruck und die Überwachung der Szene noch aufrechterhalten?«

Nach Beobachtungen des Verfassungsschutzes - die schwer überprüfbar sind - leben in Niedersachsen etwa 380 bis 400 Salafisten. Neben Hannover und Hildesheim gelten die Regionen Braunschweig und Wolfsburg als Hochburgen. Doch es gibt in der Regel einen gravierenden Unterschied zwischen Anhängern, die in Fußgängerzonen Koran-Schriften verteilen und jenen, die als Jihadisten auf Gewalt setzen.

Deren Anzahl ist unbekannt, man weiß nur, dass die Bundesanwaltschaft gegen einen Syrien-Heimkehrer aus Wolfsburg ermittelt. Staatsanwälte aus Hannover sollen gleichfalls Akten wegen möglicher terroristischer Straftaten auf dem Tisch haben. Angeblich gewährten Leute aus der Region der bombenbastelnden sogenannten Sauerlandgruppe logistische Unterstützung. Das war 2007. Als 2012 Salafisten gegen Mitglieder der rechtsextremen Partei »Pro NRW« anrannten, war ein damals 25-jähriger Braunschweiger mittendrin und verletzte zwei Polizisten mit seinem Messer. Der Mann war Anhänger der Braunschweiger Islamschule von Muhamed Ciftci. Sie war im Sommer 2012 geschlossen worden. Ciftci predigt nun in der Braunschweiger Moschee. Dort hat der Verfassungsschutz auch den Islamisten Pierre Vogel ausgemacht.

Die Braunschweiger Absage hat nicht nur die 5000 Aktiven getroffen, die seit Monaten die traditionelle Austreibung von Geistern, Kälte und Tod vorbereitet haben. 120 Motivwagen blieben in den Depots. Enttäuscht sind 200 000 Einwohner und Zugereiste, denen die Wochenendattraktion genommen wurde. Kneiper, Bierbrauer und andere Spirituosenverteiler haben Einbußen. So wie die Stadt insgesamt. Als Geste bleibt: Bonbons, die nicht ins Volk flogen, werden ab Dienstag in Kindergärten verteilt. 15 000 ungegessene Bratwürste werden ebenfalls verschenkt.

Auch wenn man auf der Positivseite sicher weniger Müll, weniger Leberversagen und weniger Unfälle durch Trunkenheit am Steuer auflisten kann - die Absage wird vor allem auf Websites als »Niederlage«, als »staatliches Versagen«, als »Zurückweichen vor Wahnsinnigen« debattiert. Sicherer denn je scheint der Karneval zu Deutschland zu gehören, was man - trotz Merkel-Wort - dem Islam immer weniger zubilligen mag.

»Unsere offene Gesellschaft darf vor Gewaltandrohungen nicht zurückweichen.« Dieser Satz hatte vor rund einem Monat Konjunktur. Damit bezogen sich Politiker aller demokratischen Parteien auf das grundsätzliche Demonstrationsverbot in Dresden. Der einstige Verfassungsrichter Jürgen Papier hatte damals gewarnt: »Ein Versammlungsverbot wegen einer aktuellen Bedrohungslage, wie es für alle Versammlungen in Dresden erlassen worden war, ist nur ausnahmsweise zulässig.«

So eine Ausnahme muss seriös erklärt werden, denn sie richtet sich nicht gegen Gefährder oder Störer, sondern gegen diejenigen, die von ihren Grundrechten der Versammlungs- und Meinungsfreiheit in legaler Weise Gebrauch machen wollen. Doch noch immer haben die zuständigen Innenbehörden von Bund und Ländern nicht mal den zuständigen Abgeordneten nachvollziehbar erklärt, warum man den Pegida-Aufmarsch und alle anderen Demonstrationen in Dresden verboten hat und wie man künftig sichern will, dass Bürger - gleich welcher politischen Ausrichtung - Grundrechte wahrnehmen können. Jenseits vom Karneval.