nd-aktuell.de / 17.02.2015 / Sonntagsschuss

»Abwärts Digger«

Über einen deprimierenden Abend am Milllerntor. Und einen Verein, der alles hat, was Fußball so grandios machen kann. Wenn nur diese Mannschaft nicht wäre ...

Christoph Ruf

Wenn 20 Männer zu vorgerückter Stunde an einem Pissoir stehen und schweigen, wenn aus Witz Galgenhumor geworden ist, aus strahlenden Augen leere Blicke und aus Zweckoptimismus tiefste Verbitterung – dann ist Fatalismus mit Händen zu greifen. So geschehen am Montagabend am Hamburger Millerntor, als auch dem fröhlichsten Anhänger von Braun-Weiß klar geworden sein muss, dass eine Mannschaft, die so Fußball spielt, absteigt. Oder wie der Mann an der Pissrinne dann doch noch sagte, nachdem der Reißverschluss nach oben gezerrt war: »Geht abwärts, Digger!«

Es ist viel gelästert worden über den FC St. Pauli von 1910, über sein übereifriges Marketing, seine stets engagierten Fans, über die Heerscharen von Fanartikel-Hortern, die keinen Spieler kennen, Fußball für bestes Proletentum halten, aber »Pauli« dennoch total klasse finden, wegen »gegen rechts« und so. Über all das ist zurecht gelästert worden – vor allem von den eigentlichen St. Pauli-Fans.

Und doch muss man all seiner Sinne beraubt worden sein, wenn man an einem Abend am Millerntor nicht merkt, dass dieser Verein etwas Besonderes ist. Eine derart große Dichte von Menschen aller Generationen, die einem aus musikalischen, subkulturellen, politischen und zwischenmenschlichen Gründen sympathisch sein müssen, gibt es nirgendwo sonst. Schon gar nicht in irgendeinem anderen Stadion. Und jetzt haben sie am Millerntor sogar noch einen Präsidenten, der sich nicht an die Fans ranwanzen muss, weil er seit Jahrzehnten selbst einer von ihnen ist. Und das, obwohl er gerade mal 40 ist.

Schlimm nur, dass das mit dem Fußballspielen aber mal so rein gar nicht klappen mag. Wenn eine Mannschaft 45 Minuten braucht, um zu begreifen, dass der Gegner immer nach der gleichen Vorgehensweise angreift und die Schwachstelle hinten rechts ausnutzt, ist das ebenso bitter wie der Umstand, dass die komplette Offensive nach einer im Stehen verbrachten Stunde den Erschöpfungstod gestorben ist. Ob da ein Trainer weiterhilft, der nach solch einem Offenbarungseid ausschließlich auf den Schiedsrichter schimpft, sei da mal dahingestellt. Geht abwärts ...