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Streit um Hürden bei Bürgervoten

Politiker von Grün-Rot im Südwesten gegen Senkung

  • Lesedauer: 3 Min.

Stuttgart. Die geplante Gesetzesänderung von Grün-Rot in Baden-Württemberg für mehr direkte Demokratie auf kommunaler Ebene im Südwesten ist auf Kritik aus den eigenen Reihen gestoßen. Zustimmungen in einem Bürgerentscheid sollen künftig nur noch 20 statt 25 Prozent der Stimmberechtigten benötigen - das sei ein »Quatsch«, sagte der Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne) der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. »Es entscheidet eine Minderheit über eine Mehrheit, und der Gemeinderat wird über die Hintertür entmachtet.«

Auch Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) kritisierte die Gesetzesnovelle. »Direktdemokratische Verfahren sorgen noch stärker dafür, einen Teil der Bevölkerung auszuschließen.« Der Bürgerentscheid führe auch nicht zu größerer Sachlichkeit. Die Auseinandersetzungen um den Bürgerentscheid zur Bundesgartenschau 2023 in Mannheim seien härter als etwa bei Wahlkämpfen.

Die geplante Absenkung der Quoren fördere nicht mehr Demokratie, sondern ermuntere nur bestimmte Gruppen dazu, »es einfach mal auszuprobieren«, kritisierte auch der Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner (SPD) den Gesetzentwurf gegenüber der »Schwäbischen Zeitung«. Er befürwortete die bisherige Regelungen, wobei unter anderem Bürger nur zu Fragen abstimmen könnten, die mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten seien. Die geplante Änderung, Bürger auch bei Themen wie etwa der Bauleitplanung abstimmen zu lassen, halte er für falsch.

Kritik an der Kritik kam vom Verein Mehr Demokratie, der sich für die vollständige Abschaffung von Abstimmungsquoren einsetzt. »Die Senkung der Hürden für Bürgerentscheide ist unbedingt notwendig«, sagte Vorstandssprecher Reinhard Hackl am Dienstag laut Mitteilung. »Mit Quoren entscheiden zufällige Minderheiten über die Gültigkeit einer Bürgerabstimmung, dabei machen wir bei jeder Wahl vor, dass es anders geht: Die Mehrheit soll entscheiden.« Es sei das größte Frusterlebnis jeder Bürgerinitiative und auch für die abstimmenden Bürger, wenn ein solcher Entscheid am Quorum scheitere.

Dass ausgerechnet OB Salomon den Wert der Reform nicht erkenne, sei besonders erstaunlich, meinte Hackl. Der jüngste Bürgerentscheid zum neuen Stadion des SC Freiburg habe das Quorum von 25 Prozent nur knapp übersprungen. »3345 Ja-Stimmen weniger und der Bürgerentscheid wäre ungültig gewesen«, betonte er. Aus Sicht des Vereins ist selbst die geplante neue Hürde von 20 Prozent noch zu hoch. Andere Länder wie Bayern, Hamburg oder Thüringen hätten bereits weitaus bürgerfreundlichere Regelungen.

Mit dem Gesetzentwurf von Innenminister Reinhold Gall (SPD) will die Landesregierung gegenüber anderen Bundesländern in Sachen direkte Demokratie aufholen. Kritik ernteten die geplanten Änderungen bereits bei Opposition, Gemeinde- und Städtetag. Die Kommunalverbände sehen in der Änderung der Gemeindeordnung Eingriffe in die Selbstverwaltung. dpa/nd

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