Von hinten nach vorne

Hamburger Bürgerschaft: Auch ohne vorderen Listenplatz ins Parlament - den Wählern sei Dank

  • Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Wahlberechtigten in Hamburg haben die Möglichkeit, ihre Stimmen auf Kandidaten zu verteilen. 19 Abgeordnete schafften so den Sprung ins Parlament.

Mit 12,3 Prozent der Stimmen verpassten die Grünen nur knapp einen 16. Sitz in der Hamburgischen Bürgerschaft. Ob ihre Fraktion nun aus 15 Mitgliedern bestehen wird, ist allerdings auch fraglich. Denn zu den Gewählten zählt mit Nebahat Güçlü auch eine Politikerin, die der grüne Landesvorstand bereits aus der Partei ausschließen wollte. Im Januar hatte die Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Hamburg auf einem Kulturfestival um Stimmen geworben, dessen Organisatoren der rechtsextremen türkischen Partei »Graue Wölfen« nahe stehen. Der Grünen-Vorstand beantragte daraufhin beim Parteischiedsgericht - bislang vergeblich - den Ausschluss Güçlüs. Auf der Landesliste stand die 49-Jährige zwar nur auf dem 25. Platz, dank 5536 Stimmen für ihre Person zog sie aber in die Bürgerschaft ein - ein Effekt des personalisierten Hamburger Zehn-Stimmen-Wahlrechts.

19 der 121 neuen Abgeordneten wären bei starren Listen nicht ins Landesparlament eingezogen. Bei der Premiere vor vier Jahren fuhren noch 23 Kandidaten auf der »Überholspur«, aber auch diesmal wirbelten die Wähler die Reihenfolge vor allem bei der regierenden SPD gehörig durcheinander. Einige sozialdemokratische »Promis« schafften dadurch den Sprung aus der zweiten Reihe in die Bürgerschaft: Markus Schreiber etwa, der als langjähriger Bezirksamtsleiter (2002-12) von Hamburg-Mitte 2011 in die Kritik geriet, weil er unter einer Brücke untergekommene Obdachlose vertreiben wollte. Oder Danial Ilkhanipour, der bei seiner Bundestagskandidatur 2009 einen »Parteifreund« mit umstrittenen Methoden ausbootete und daraufhin erlebte, wie die Hälfte der Partei seinen Wahlkampf boykottierte.

Innerhalb der CDU wurde Haushaltsexperte Roland Heintze vom Polizeigewerkschafts-Chef Joachim Lenders verdrängt, dem mit Law-and-Order-Parolen die Rückkehr in die Bürgerschaft nach elf Jahren gelang. Für die FDP schaffte Spitzenkandidatin Katja Suding in Blankenese das einzige Wahlkreismandat. Da sich viele gutbürgerliche Eurokritiker nach ihrer Unterstützung der AfD bei der Europawahl 2014 diesmal offenbar wieder der FDP zuwandten, wurde bei der AfD über die Personenwahl der rechte Rand der Partei gestärkt: Neben den ersten sechs Listenkandidaten ziehen durch die Vorzugsstimmen das Danubia-Burschenschaftsmitglied Alexander Wolf und Ludwig Flocken ins Parlament ein. Flocken hatte sich einen Namen gemacht, als er bei einer MVgida-Kundgebung in Schwerin Ende Januar Gegendemonstranten als »die neue SA« und »Leibstandarte Adolphine Schwesig« bezeichnete.

Die LINKE kann in der Bürgerschaft, die am 2. März zusammentritt, auf viel Erfahrung bauen. Sechs der elf Abgeordneten saßen bereits in den vergangenen vier Jahren in der Bürgerschaft: Norbert Hackbusch (14 746 Stimmen in Altona), Christiane Schneider (9824 in Mitte), Mehmet Yildiz (6340 in Wilhelmsburg) wurden in ihren Wahlkreisen gewählt. Fraktionschefin Dora Heyenn sowie Heike Sudmann und Cansu Özdemir zogen über die Landesliste ein. Heyenn erhielt mit 27 517 Stimmen den meisten persönlichen Zuspruch der LINKEN-Wähler. Über ihren Listenplatz erreichten auch drei der fünf neuen Gesichter die Bürgerschaft: Bildungspolitikerin Sabine Böddinghaus könnte im Laufe der fünfjährigen Legislaturperiode Heyenn als Fraktionschefin ablösen. Umweltexperte Stephan Jersch saß bislang im Kommunalparlament Hamburg-Bergedorf. Den Autor und Journalisten Martin Dolzer kennen nd-Leser unter anderem von seiner Berichterstattung aus Syrien.

Weil sie 7487 Vorzugsstimmen auf sich vereinigte, zog auch »Hartz-IV-Rebellin« Inge Hannemann trotz ihres hinteren Listenplatzes 13 ins Rathaus ein. Die elfköpfige Fraktion komplettiert der Politologe Deniz Celik, der mit 11 092 Stimmen im Wahlkreis Barmbek ein Direktmandat eroberte und die Zahl der LINKEN-Wahlkreissitze so von drei auf vier steigerte.

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