Albtraum statt Märchen

Gasförderung in den Niederlanden hat drastische Folgen

  • Annette Birschel, Groningen
  • Lesedauer: 3 Min.
Es begann wie ein Märchen: Die Niederlande entdeckten in Groningen ein riesiges Gasfeld. Das Geld strömte. Doch nun bebt die Erde, die Bürger sind in Gefahr.

Die Kirchenglocken in Groningen läuteten dumpf. Die Mahnung vor drohendem Unheil galt Den Haag. Es geht um die Gasförderung und die Zukunft der Menschen in der nordöstlichen Provinz der Niederlande. Große Vorkommen liegen im Boden nahe der deutschen Grenze. Doch die Bohrungen führten zu über 1000 Erdbeben. Ein Bericht des nationalen Sicherheitsrates kommt nun zu einem harten Urteil: Gewinn war Behörden und Firmen wichtiger als Sicherheit. Politiker reagierten entsetzt, für die Groninger ist es eine bittere Bestätigung.

Es hatte wie ein Märchen begonnen: Als im Juli 1959 unter einem Feld Erdgas gefunden wurde, lockte unerschöpflicher Reichtum. Mit rund 900 Quadratkilometern und 2800 Milliarden Kubikmetern (m3) Gas war es eins der größten Vorkommen der Welt. Der Rohstoff machte die Niederlande zum zweitgrößten Erdgasproduzenten Europas. Über 2000 Milliarden m3 wurden gefördert, etwa die Hälfte für den Export. Der Staat verdiente rund 265 Milliarden Euro.

Doch für viele Bürger wurde es zum Alptraum. Die Bohrungen in etwa drei Kilometer Tiefe ließen Erdschichten absacken. Die Folge sind Mikrobeben bis zur Stärke 2 auf der Richterskala. Bei den Bewohnern hängen Türen schief, klemmen Fenster und haben Mauern Risse. Und die Beben werden häufiger und heftiger.

»Die Folgen sind katastrophal«, betont die Bürgerinitiative Groninger Bodem Beweging. Neun Kommunen sind betroffen. Über 25 000 Bürger meldeten Schäden, 50 000 Wohnungen müssen verstärkt werden. Auch Bürgerinitiativen in Ostfriesland sind besorgt. Die Folgen etwa für Deiche könnten gravierend sein.

In Niedersachsen, einem Schwerpunkt der deutschen Gasgewinnung, werden ebenfalls gelegentlich Mikrobeben registriert. Das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie richtete nach einer Zunahme der Beben 2013 einen eigenen Erdbebendienst ein. Da die Felder in Niedersachsen aber viel kleiner sind, ist die Problematik deutlich geringer.

In den Niederlanden steigt die Angst vor dem großen Erdstoß. Die Aufsichtsbehörde für Minen sieht ein realistisches Risiko für ein Beben der Stärke 4 bis 5. »Die Gasproduktion muss so schnell und so viel wie möglich gesenkt werden.« Experten halten 30 Milliarden m3 pro Jahr für vertretbar. Der rechtsliberale Wirtschaftsminister Henk Kamp zögert. Für 2015 stellte er als Gesamtmenge 39,5 Milliarden m3 Gas fest, sieben Prozent weniger als 2014. Nach neuen Beben reduzierte er die Fördermenge für das erste Halbjahr auf 16,5 Milliarden m3. Um den Bedarf zu decken und alle Lieferverpflichtungen zu erfüllen, so Kamp, müssten aber 35 Milliarden m3 produziert werden.

Für 2015 stehen rund zehn Milliarden Euro aus der Erdgasproduktion im Staatshaushalt. Eine Reduzierung würde zu einem Milliardenloch führen. Das wäre ein harter Schlag für das Land, das sich nur langsam von einer Rezession erholt. Doch für den Koalitionspartner gibt es keine Alternative zur Senkung der Förderung.

Der Streit bringt auch das umstrittene Fracking wieder ins Spiel - trotz Widerstands der Bürger. Dennoch hält Kamp vorerst an Probebohrungen fest. 200 bis 500 Milliarden m3 Schiefergas erwarten die Niederlande. dpa/nd

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