Ein Signal an die europäische Linke

Tom Strohschneider über den Kompromiss beim Treffen der Eurogruppe in Brüssel, die Zukunft der EU-Krisenpolitik und worin der Erfolg von SYRIZA schon jetzt liegt

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer ist der Sieger des Eurogruppen-Treffens vom Freitagabend? Wer der Verlierer? Die Frage ist falsch gestellt - denn ob und wer in Brüssel was genau erreicht hat, ist nicht nur eine Angelegenheit des Konflikts um das Kreditprogramm für Griechenland und die umstrittenen Kürzungsauflagen. Es geht hier um mehr, um die europäische Krisenpolitik, um die Machtbalance in der EU und um die Glaubwürdigkeit eines neoliberalen Kurses, der bis zur Peinlichkeit demaskiert ist - und trotzdem immer noch die Szenerie bestimmt. Aber eben nicht mehr ganz unangefochten.

Zum Kompromiss von Freitagabend sind mehr als vorläufige Überlegungen zudem kaum angemessen. Immerhin muss bereits in der Nacht zum Dienstag die nächste große Hürde übersprungen werden: Die »Institutionen« und die Euro-Finanzminister müssen den Vorschlägen aus Athen erst zustimmen. »Wenn die Liste keine Billigung findet, dann ist die Vereinbarung tot«, hat der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis erklärt. Die Entscheidung darüber, ob Griechenland zum »Ko-Autor der Reformen und seines Schicksals« werden kann, ist also noch gar nicht endgültig gefallen.

Dennoch liegt in der Nacht zum Sonnabend der Keim eines Erfolgs von SYRIZA. Die neue Regierung in Athen hat etwas Spielraum gewonnen, unter anderem in Sachen Primärüberschuss und bei einem Teil der Kürzungsauflagen. Klar: Ein Befreiungsschlag ist das nicht, es gelten die alten Regeln weiter, es wird kaum einfacher. Aber: Die Linkspartei hat gegenüber der kompromisslosen Linie in Berlin gezeigt, wer wirklich ein Interesse an einer Einigung hatte, was im öffentlichen Ringen um Zustimmung nicht unwichtig ist. Und: SYRIZA hat in den vier Wochen seit Amtsantritt bereits mehr für einen Kurswechsel in der Krisenpolitik geleistet als es der europäischen Linken - oder wer sich zu ihr gern zählte, dann aber anders handelte - bisher gelungen ist. Diese dringend notwendige Kehrtwende ist ohnehin kein Projekt weniger Wochen, schon gar nicht eines, das im Rahmen der schwierigen Verhandlung über die Verlängerung des Kreditprogrammes für ein Land zu erreichen ist.

Es wird jetzt von links an SYRIZA zweifellos Kritik geben. Das ist auch völlig in Ordnung, ja: notwendig. Die gegen jeden Kompromiss gepanzerte Kommunistische Partei KKE hat sich am Samstagmorgen bereits ablehnend geäußert, andere werden folgen. Der Kurs, den zuletzt vor allem Varoufakis verkörpert hat, führt in der Tat weder direkt in die »Neukonstituierung Europas« unter völlig veränderten Vorzeichen, auch nicht in einen Instant-Sozialismus vom Reißbrett und wahrscheinlich muss SYRIZA sogar Abstriche bei einigen der geplanten sozialen Sofortmaßnahmen machen.

Und dennoch: Der Gewinn von Zeit ist mehr als eine Fristverlängerung für ein »bloß reformistisches« Projekt, es ist ein notwendiger Umweg. Weder sind die Gefahren gebannt, dass die Vertiefung der Krise - und diese wäre das sichere Ergebnis einer Staatspleite und eines Grexits - nach rechts ausschlägt noch kann ernsthaft davon die Rede sein, dass es bereits gesellschaftliche Mehrheiten im europäischen Maßstab für eine andere, neue EU gibt. Nur: Darauf kann SYRIZA nicht warten, der Preis ist untragbar - eine humanitäre Krise, von der sich auch die meisten Beobachter außerhalb Griechenlands kaum eine realistische Vorstellung machen können.

Schließlich, aber keineswegs abschließend: Der Abend von Brüssel bringt Dämpfer für das neoliberale Berlin mit sich. Auf europäischer Bühne ist Schäubles Njet der vergangenen Wochen nicht durchgegangen, das ist ein Erfolg gegen den Versuch, sich mit Erpressungspolitik über alle alternativen Erwägungen und Kompromisse hinwegzusetzen. Im Machtspiel der EU ist, zweitens, das Gewicht des »politischen Europa« der Kommission gegenüber dem »finanziellen Europa« der Eurogruppe und des Bundesfinanzministeriums gestärkt worden. Drittens: Der Kurs, der maßgeblich von Schäubles Ultras vorangetrieben wurde, ist im Ringen um die Verlängerung des Kreditprogramms demaskiert worden. Weder sind die Vorschläge aus Athen so »irre«, wie es die veröffentlichte Meinung hierzulande gern darstellt, noch lässt sich die politökonomische Verengung auf Austerität noch gegen eine Wirklichkeit verteidigen, die gezeigt hat, welche Folgen dieser Kurs hat. Und jeder, der es wissen möchte, kann sehen, dass der Satz »There is no Alternative« eine politische Lüge ist: Unlängst erst hatte sich Berlin dafür eingesetzt, die »extrem harten Auflagen« für einen geplanten IWF-Kredit an die Ukraine zu lockern, um das Land »innenpolitisch nicht zu destabilisieren«.

Was also hat SYRIZA erreicht? Die Regierung in Athen hat die Re-Politisierung der Krisenbearbeitung in der EU vorangetrieben, was auch die politischen Bedingungen für Linke in anderen Ländern verbessert. SYRIZA hat die Unbedingtheit eines neoliberalen Bürokratismus durchbrochen, der nur Memoranden, Vereinbarungen und technische Parameter kennt - und einem Dogmatismus der Austerität frönt, den man angesichts seiner Bilanz lächerlich nennen könnte, würde die politische Herrschaft dieses Irrglaubens nicht so viel soziale und ökonomische Verheerungen hinterlassen.

Über die Bedingungen der Gläubiger kann, das ist eine Botschaft von Freitagabend, politisch verhandelt werden, auch wenn die deutsche Seite das verhindern wollte. Über den realen Ertrag von Privatisierungsforderungen, über die Frage, warum nach Jahren des »Sparens« die Schuldenberge nicht kleiner werden, welche Rolle europäische Werte wie die der Menschenwürde, der sozialen Sicherheit und der guten Arbeit gegenüber dem Prinzip der Austerität haben, wird schon jetzt anders gesprochen als vor den Wahlen in Griechenland. Das ist, gerade aus der linken Perspektive eigener Schwäche in der Krise, alles andere als nichts.

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