Neues von der Bernauer Drachenbrut

Linksfraktion lud zum politischen Aschermittwoch ins Ofenhaus

Ausreisen aus Bernau sind sonntags nur noch in dringenden Familienangelegenheiten erlaubt. Das tritt unverzüglich in Kraft. Ein Kabarettprogramm der Linksfraktion.

Ein »Möchtegern-Engländer« sei der AfD-Landtagsfraktionschef Alexander Gauland, sagte Sebastian Walter am Freitagabend. Der junge Vizevorsitzende der märkischen Linkspartei erklärte, Gauland gehöre mit seinen Tweedjackets ins Museum, nicht ins Parlament. Walter hielt im Bernauer Ofenhaus eine typische Rede zum politischen Aschermittwoch, sprach ernste Themen wie den Krieg in der Ostukraine und die Finanzkrise Griechenlands mit zugespitzten, teils auch launigen Formulierungen an. Es fehlten nur die Tuschs. Die Kapelle unterließ das traditionelle »Tata, tata«.

Schon seit ein paar Jahren lädt die Bernauer Linksfraktion immer am Freitag nach dem Ende der Faschingszeit zum politischen Aschermittwoch. Stadtverordnete und sachkundige Einwohner üben dazu ein Kabarettprogramm ein. Diesmal lautete der Titel »Neues von der Drachenbrut« - in Anspielung auf das Geschimpfe, das der Liedermacher Wolf Biermann im Bundestag über die LINKE abgelassen hatte.

Die knapp 200 Zuschauer im prall gefüllten Saal applaudierten und johlten. Bei den Liedern sang unter den Zuschauern auch Landtagsfraktionsvorsitzende Margitta Mächtig begeistert die Refrains mit und klatschte den Takt. Dem Bürgermeister André Stahl (LINKE) gegenüber saß im Publikum Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD). Sie nahm amüsiert zur Kenntnis, dass Walter in seiner Rede sagte, die LINKE habe nach ihrer Wahlschlappe ja unbedingt wieder mitregieren wollen. Nun habe die LINKE im Landtag die Arbeit und die Koalitionspartnerin SPD einen, der ihr die Arbeit mache.

Der immer wiederkehrende Witz des Abends war der Wohnort des neuen Bürgermeisters André Stahl, im Programm auch »Eisenmann« genannt. So sprach Walter seine Zuhörer an: »Liebe Bernauerinnen und Bernauer, lieber Biesenthaler!« Im Lied einer Nachtwächterin, das Helene Fischers Schlager »Atemlos« parodierte, hieß es: »Ich liebe diese Stadt,/ auch wenn ein Roter oben thront,/ nur sage mir,/ warum er nicht hier wohnt.«

Bevor André Stahl im vergangenen Jahr zum hauptamtlichen Bürgermeister Bernaus gewählt wurde, war er ehrenamtlicher Bürgermeister von Biesenthal - und dort lebt er weiterhin. Offenes Geheimnis von Stahls Wahlerfolg war seine Forderung, dass der Wasser- und Abwasserverband (WAV) Panke-Finow nur einen Bruchteil der umstrittenen Altanschließerbeiträge kassieren soll, während Stahls Konkurrentin bei der Wahl für die Einziehung des vollen Betrags plädierte. Das Altanschließerproblem kam wie schon im Vorjahr beim politischen Aschermittwoch im Kabarettprogramm vor. Da hieß es diesmal, der WAV wolle beträchtliche Einnahmen mit Altpapier erzielen. Die Bürger sollen dazu alle ihre Kostenbescheide zurückgeben.

Um jede Einlage zu verstehen, musste sich das Publikum wenigstens ein bisschen in der Lokalpolitik auskennen. Zuweilen benötigte es auch historische Kenntnisse. So bei einer Nummer in der fingierten Nachrichtensendung. Der Nachrichtensprecher präsentierte Vorschläge für mehr Sonntagsruhe in der Stadt. Regionalzüge sollen ohne Halt durchfahren, die S-Bahnen nach Berlin bereits im Ortsteil Röntgental enden und die Ausfallstraßen gesperrt werden. Spätestens bei dem Hinweis, dass die Ausreise künftig nur noch bei »dringenden Familienangelegenheiten« erlaubt sein soll, ahnte jeder ältere Ostdeutsche, dass gleich ein Scherz über die Berliner Mauer kommen würde. Tatsächlich: Wann die neue Regelung in Kraft trete? Der Nachrichtensprecher kramte etwas hilflos in seinen Notizen und stotterte, nach Angaben der Stadtverwaltung geschehe dies »sofort, unverzüglich«. In ähnlicher Weise hatte vor 25 Jahren SED-Politbüromitglied Günter Schabowski die Öffnung der DDR-Grenzen verkündet.

Alle bekamen im Laufe des Abends ihr Fett weg: Die CDU, die vergnatzt den Stadthaushalt blockierte, nachdem sie nicht mehr den Bürgermeister stellte, und die Grünen, die hier gar nicht so grün seien, wie quakende Frösche verrieten. Auch sich selbst nahm die Linksfraktion auf die Schippe. Da wurden in einer Zugabe zwei junge Mitglieder von Stadtfraktionschefin Dagmar Enkelmann bearbeitet, in einer bestimmten Frage mit Ja zu stimmen, was diese eigentlich nicht wollten. Nach einer Auszeit nahm der junge Mann einen Krückstock und die junge Frau hängte sich ein altmütterliches Kopftuch um. »Na gut, wir passen uns an«, versprachen sie.

Zum Schluss gab es die Bitte an die anderen Fraktionen, in den kommenden zwölf Monaten wieder so schöne Vorlagen für Sketche zu liefern. Den nächsten politischen Aschermittwoch in Bernau soll es am 12. Februar 2016 geben.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal