Justizopfer kämpft um Entschädigung

Harry Wörz klagt gegen Baden-Württemberg

  • Susanne Kupke
  • Lesedauer: 3 Min.

Was ist ein Sofa wert und was dem Staat die Wiedergutmachung für ein verpfuschtes Leben? Auf diesen Nenner könnte man den Streit bringen, den Justizopfer Harry Wörz demnächst mit dem Land Baden-Württemberg vor dem Landgericht Karlsruhe ausficht. Wörz saß wegen versuchten Totschlags an seiner Frau viereinhalb Jahre unschuldig im Gefängnis. Noch heute leidet der gelernte Installateur und Bauzeichner aus Birkenfeld bei Pforzheim an den Nachwirkungen. Nun kämpft er um eine höhere Entschädigung - und um die Rückkehr in ein normales Leben.

Dieses endete am 29. April 1997 mit seiner Festnahme. Ihm wurde vorgeworfen, seine von ihm getrennt lebende Frau mit einem Schal fast zu Tode gewürgt zu haben. Die frühere Polizistin ist heute ein schwerer Pflegefall und kann sich nicht mehr mitteilen. Für die Polizei, bei der sowohl der Vater der Frau als auch ihr damaliger Freund arbeiteten, war der Täter schnell gefunden: Ihr Mann Harry Wörz. Dass der weder ein Motiv hatte und es auch sonst einige Ungereimtheiten gab, beeinflusste das nicht: Wörz kam 1998 wegen versuchten Totschlags in Haft, er verbüßte viereinhalb Jahre hinter Gitter und kämpfte 13 Jahre vor verschiedenen Gerichten, bis er im Dezember 2010 rehabilitiert wurde.

Bislang hat der Staat dem heute 48-Jährigen aus dem Enzkreis knapp 156 000 Euro zugebilligt, wovon nach Angaben von Anwältin Sandra Forkert-Hosser »ein beachtlicher Teil« versteuert werden musste. Mit dem Geld habe er zunächst das zurückgezahlt, was Freunde ihm nach der Haft vorgestreckt hätten. »Er hatte keinen Job. Er hat eine neue Familie, er musste leben«, sagt die Anwältin.

Jetzt will Wörz 86 000 Euro mehr für seinen Verdienstausfall sowie Ausgleich der Kosten für Anwälte und Möbel aus seiner wegen der Haft aufgelösten Wohnung in Höhe von 26 000 Euro. Außerdem fordert er eine Berufsunfähigkeitsrente über das Jahr 2016 hinaus. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe will nicht alle Ansprüche anerkennen und lässt die Fortzahlung der Berufsunfähigkeitsrente offen. »Wir müssen immer prüfen: Was ist berechtigt?«, betont ein Sprecher. Keine leichte Sache für das Landgericht, das sich eventuell im Sommer - der Prozessbeginn steht noch nicht fest - mit der Sache befassen muss.

Wörz muss nun Nachweise über Kosten von Lampen, Spiegelschrank, Bett oder Couch erbringen. Ein schwieriges Unterfangen nach fast 20 Jahren und angesichts der Umstände: Die Wohnung hatten andere aufgelöst, die Einrichtung kam weitgehend auf den Müll - eine Einlagerung wäre nach Angaben seiner Anwältin angesichts der bevorstehenden langen Haft zu teuer gewesen. Seit Mitte 2010 ist Wörz krankgeschrieben. Zu seinem Gesundheitszustand will sich die Anwältin nicht äußern. Auch er selbst gibt derzeit keine Interviews. dpa/nd

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