Die Schonung bringt keine Schonung

Berliner Ensemble: Lesung von Friedrich Wolfs »Wie Tiere des Waldes«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Dramatiker Friedrich Wolf ist unser aller Weihnachts-Mann: Seine Gans Auguste gehört zum alljährlichen Fernsehprogramm wie die drei Haselnüsse fürs Aschenbrödel. Nun erinnerte das Berliner Ensemble daran, dass es auch einen anderen Friedrich Wolf gibt. Der Arzt und Schriftsteller, der Jude und Kommunist, der erste DDR-Botschafter in Warschau, der Autor einst berühmter, skandalöser, mutig-kritischer Stücke wie »Cyankali« und »Professor Mamlock« - er schrieb kurz nach dem Zweiten Weltkrieg »Wie Tiere des Waldes«, im Untertitel: »Ein Schauspiel von Hetzjagd, Liebe und Tod einer Jugend«. In der BE-Lesereihe zur DDR-Dramatik die nunmehr 21. Veranstaltung (Leitung: Manfred Karge, Hermann Wündrich).

Hanne und Kurt fliehen in den Wald. Asyl im Kahlschlag. Die Schonung aber bringt keine Schonung. Kurt, Panzerjäger in den letzten Tagen des Krieges, ist desertiert - gejagt wird er nun von Hannes Vater, einem deutschen Durchhaltewanst. Hanne wird sterben. Kurt steht kurz vor der Exekution durch die SS. Wird aber mit einem garantiert tödlichen Feldeinsatz »begnadigt«. Er überlebt - Kriegsende! In Traum und Vision spielt Wolf auch andere Verhaltensweisen durch: der verblendete Vater etwa als Retter, als Hüter des Jungen - immer kann der Mensch anders handeln. Immer ist Freiheit. Freilich: Deren Preis kann elend hoch steigen. Moral kostet. Der Satz klingt billig, wenn’s ums Leben geht - man ist dann nicht immer Herr seiner selbst.

Elf Schauspieler lasen, darunter Studenten der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Die liebende, leidende Jugend des Stücks - sie war hier wirklich Jugend. In den Passagen zwischen Kurt (Leonhard Scheicher) und Hanne (Karoline Teska) also ein Hauch Ferdinand und Luise; Hannes Vater (Michael Kinkel): polternd, ganz blockwartstupide, wie es deutsche Tradition war, ist und bleibt - aber zwischen den blöden Axthieben seiner Gesinnung doch auch ein knorriger Familiensinn. Anke Engelsmann war Hannes Mutter, aufgebracht, flatternd, flehend - Engelsmann las nicht, es hielt sie kaum auf dem Stuhl, sie spielte!, und das mit nahezu preschender Energie.

Am Ende nimmt diese Mutter der toten Hanne den Tod der Tochter an, gibt ihm einen Sinn, indem sie Kurt ermutigt: »Du aber lebst!« Also: das Existenzgeschenk nutzen! Souverän werden! Das ist der Auftrag, den uns die Gestorbenen auferlegen. Der eigenen Klugheit vertrauen! Neuer deutscher Idealismus im Gewand konsequenten Strebens nach Frieden.

Es mutet psychologisch kühn an, wie die Mutter da dem Verlust des eigenen Kindes einen Gewinn abringt, dies tut jedem kämpferischen Gemüt gewiss gut, und es hat ein sehr menschlich berührendes Pathos - aber kein einziger Tod, für welche Sache auch immer, hat Sinn, kein Gestorbensein ist als Fanal hochzurechnen. Weil solch ein Fanal nie Dauer hat. So, wie selbst tiefste Analysen von sozial-ökonomischen Kriegsursachen den Menschen nicht vom Finsternis-Gen heilen.

Wissen bessert nur in Maßen. Vernunft ist ein Wechselbalg. Erkenntnis langweilt sich. Erfahrung ist vergesslich. Ismus-Forschung hilft wenig gegen eine Psychologie, die klassenübergreifend wirkt. Der Mensch dreht sich gähnend um und schleppt seine gefährliche Ambivalenz weiter durch alle Gesellschaften. Und der Frieden übrigens, der sich längere Zeit hält, ist in der Regel immer bürgerlich und nicht revolutionär. Ein Mitteprodukt.

Der Abend bot einen spannenden Friedrich Wolf; das alte Stück machte nach wie vor einen gut gebauten, dynamischen Eindruck und ließ also fragen, wie man sich vielleicht generell der Dramatik dieses Autors, in moderner Gangart, neu nähern könne.

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