Das Alphabet der Gesundheit

Warum zwischen den Vitaminen A bis E und Vitamin K eine große Lücke klafft

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.
Für den Organismus sind Vitamine essenziell. Allerdings bilden diese keine einheitliche Stoffgruppe. Wie schwierig es deshalb war, sie zu ordnen, kann man bis heute an ihren Namen ablesen.

Vitamine genießen einen legendären Ruf. Noch vor wenigen Jahrzehnten verkörperten sie im System der Ernährung, anders etwa als Fette oder Kohlenhydrate, das wahrhaft Gute. Wer regelmäßig Vitamine isst, bleibt gesund, erfuhr ich schon als Kind von meinen Eltern, die dabei nach der Maxime handelten: Viel hilft viel. Und so wurden die in der DDR rezeptfrei erhältlichen Multivitamindragees »Summavit« in unserer Familie als Nahrungsergänzung fast zu jeder Hauptmahlzeit gereicht. Vitamin C gab es extra - zum zuverlässigen Schutz vor Erkältungskrankheiten. Doch so viele Vitamin-C-haltige Pillen und Pülverchen ich auch schluckte, sobald es draußen nass und kalt wurde, bekam ich meinen obligatorischen grippalen Infekt.

Inzwischen hat sich die Vitamin-Euphorie etwas gelegt. Namentlich der inflationäre Gebrauch von Vitaminen als Nahrungsergänzungsmittel wird heute kritisch gesehen. Stattdessen heißt es: Wer sich ausgewogen ernährt und dabei viel Obst, Gemüse und Vollkornprodukte isst, bekommt alles, was er an Vitaminen braucht. Dennoch gibt es auch in Deutschland Personengruppen, deren Vitaminversorgung mangelhaft ist, und das nicht nur aufgrund einer falschen Ernährung: chronisch Kranke, alte Menschen, Schwangere, Raucher, Alkoholiker. Bei vielen führt dies zu massiven gesundheitlichen Beschwerden, denn Vitamine tragen entscheidend zur Erhaltung lebenswichtiger Funktionen bei.

Das zeigt schon ihr Name, der abgeleitet ist von dem lateinischen Wort »vita« für Leben sowie »amin« für stickstoffhaltig. Geprägt wurde er von dem polnischen Biochemiker Casimir Funk, der 1912 in Reiskleie Thiamin entdeckt hatte, das erste Vitamin, und danach glaubte, dass in allen Stoffen der so bezeichneten Art Stickstoff enthalten sei. Doch diese Annahme war falsch. Tatsächlich gibt es unter den Vitaminen auch stickstofffreie Verbindungen sowie solche, die strukturell den Kohlenhydraten ähneln. Dennoch setzte sich Funks Kunstwort durch, während andere Namen, die man anfangs zur Bezeichnung der Vitamine verwendet hatte, zum Beispiel Komplettine und Nutramine, wieder aus dem Sprachgebrauch verschwanden.

Als der amerikanische Biochemiker Elmer McCollum 1913 mit Retinol ein zweites Vitamin entdeckte, machten er und seine Mitarbeiterin Cornelia Kennedy den Vorschlag, für die Benennung der neuen Stoffe die großen Buchstaben des Alphabets zu verwenden. Und so wurde aus Retinol Vitamin A und aus Thiamin Vitamin B. Die zunächst als »Antiskorbut-Faktor« bezeichnete Ascorbinsäure erhielt die Bezeichnung Vitamin C. In den Jahren 1919 und 1922 kamen zwei weitere Vitamine hinzu. In Lebertran hatten Wissenschaftler Vitamin D (Calciferol) und in Weizenkeimöl Vitamin E (Tocopherol) gefunden. Ende der 20er Jahre waren bereits elf Vitamine bekannt. Den Abschluss der Reihe bildete Vitamin K (Phyllochinon), das der dänische Physiologe Henrik Dam 1929 aus Luzerne isoliert hatte.

Dann jedoch ergab die Untersuchung der chemischen Struktur der Vitamine, dass deren Ordnung nach Buchstaben nicht zweckmäßig war. Zunächst blieb das Vitamin F auf der Strecke. Denn anders als vermutet handelt es sich hierbei nicht um ein Vitamin im engeren Sinn, sondern um ein Gemisch essenzieller Fettsäuren. Von ihrem Platz verdrängt wurden aber auch die Vitamine G und H. Der Grund: In Vitamin-B-haltiger Nahrung waren Wissenschaftler auf mehrere Substanzen gestoßen, die, wenn sie fehlten, typische Mangelerkrankungen auslösten. Deshalb wurde aus Vitamin B der Vitamin-B-Komplex, zu dem fortan auch Vitamine gehörten, denen man zuvor andere Buchstaben zugeordnet hatte.

Das heißt, in der neuen Vitaminordnung verschwanden die Vitamine H und G nicht einfach, sie wurden lediglich umgruppiert und erhielten einen anderen Namen. Seitdem wird Vitamin G (Riboflavin) als Vitamin B2 und Vitamin H (Biotin) als Vitamin B7 bezeichnet. Insgesamt umfasst der Vitamin-B-Komplex acht Verbindungen, die für den Kohlenhydrat- und Eiweißstoffwechsel ebenso unverzichtbar sind wir für die Blutbildung und die Abwehr sogenannter freier Radikale. B-Vitamine finden sich in tierischen wie pflanzlichen Lebensmitteln und müssen dem Organismus regelmäßig zugeführt werden. Eine Ausnahme bildet das Vitamin B12 (Cobalamin). Es ist das einzige wasserlösliche Vitamin, das der Körper speichern kann, vornehmlich in der Leber. Deshalb führt ein Mangel an Cobalamin erst nach ein bis zwei Jahren zu klinischen Symptomen. Beim Blick auf die Reihe der B-Vitamine fällt auf, dass auch sie nicht fortlaufend durchnummeriert ist. Es fehlen die Glieder B4, B8, B10 und B11. Die so bezeichneten Stoffe galten ursprünglich ebenfalls als Vitamine, allerdings ließ sich in chemischen und pharmakologischen Untersuchungen ihr Vitamincharakter nicht bestätigen.

Bliebe noch zu klären, was es mit den Vitaminen I und J auf sich hat, von denen es gelegentlich heißt, sie seien reichlich in Obst und Gemüse enthalten und in ihren Eigenschaften der Ascorbinsäure ähnlich. In manchen Ratgebern wird ihr Verzehr vor allem Veganern empfohlen - mit dem Hinweis, dass beide Vitamine den Organismus befähigten, Eisen aus pflanzlichen Quellen besser zu verwerten. Ernährungswissenschaftler teilen diese Auffassung nicht. Im Gegenteil. Sie bestreiten, dass es die Vitamine I und J überhaupt gibt.

Gegenwärtig liegt die Zahl der allgemein anerkannten Vitamine bei 13. Die meisten sind wasserlöslich. Nimmt man davon zu viel, wird der Überschuss in der Regel problemlos wieder ausgeschieden. Dagegen kann der Körper die fettlöslichen Vitamine A, D, E und K im Fettgewebe speichern. Das hat Vor- und Nachteile: Einerseits müssen die betreffenden Vitamine dem Organismus nicht unentwegt zugeführt werden. Andererseits besteht die Gefahr, dass ein krasser Überschuss namentlich an den Vitaminen A und D eine Vergiftung hervorruft.

Doch nicht eine Vitaminüberversorgung ist das Problem in Deutschland. Neuere Untersuchungen haben vielmehr ergeben, dass fast 60 Prozent der Kinder und Erwachsenen zu wenig Vitamin D im Blut haben. Als unzureichend wird überdies die Versorgung mit Folsäure (Vitamin B9) sowie den Vitaminen C und E eingestuft. Allerdings gilt hier zu beachten, dass manche Menschen für ihren persönlichen Bedarf weniger Vitamine brauchen als der Durchschnitt. Ein echter Vitaminmangel hingegen macht sich bei den Betroffenen unter anderem durch folgende Symptome bemerkbar: Müdigkeit, Leistungsschwäche, Schlafstörungen, Nervosität, Hautveränderungen, erhöhte Infektanfälligkeit. Oft genügt zur »Behandlung« eine Umstellung der Ernährung. Nur wenn auch die nicht hilft, sollte man vorsorglich einen Arzt aufsuchen.

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