Es kann keine freien Wahlen geben

In der Zentralafrikanischen Republik tobt weiter die Gewalt, doch die UNO hält an ihrem Fahrplan fest

  • Markus Schönherr, Kapstadt
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Zentralafrikanische Republik kommt nicht zur Ruhe. Knapp zwei Jahre nach dem Regierungssturz und der Bildung einer Übergangsregierung herrscht in weiten Teilen des Landes immer noch Gewalt.

Um die Zentralafrikanische Republik ist es medial seit geraumer Zeit ruhig geworden. Doch weit gefehlt, wer daraus schließt, dass sich die Lage im Kern geändert hätte. Allein seit Jahresbeginn flohen 50 000 Zentralafrikaner vor Vergewaltigungen, Massakern und den brandschatzenden Rebellen, gab das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) diese Woche bekannt. Die von der UNO unterstützten Interimsführer versuchen akribisch, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Allerdings fehlt es außerhalb der Hauptstadt Bangui an jeglichen staatlichen Strukturen.

»Es ist schwierig für die Regierung, alle Teile des Landes zu kontrollieren, wenn die Armee einfach nicht funktioniert«, sagt Georgette Florence Deballé Koyt. Die Politikwissenschaftlerin in der Hauptstadt leitete einst als Rektorin die staatliche Universität Bangui. Als die Séléka-Rebellen im März 2013 Bangui einnahmen und kurz darauf die Regierung von François Bozizé stürzten, verlor sie ihren Posten. Es dauerte ein Jahr, bis sich die Séléka und verfeindete Rebellen auf Catherine Samba-Panza als Übergangspräsidentin einigten. Die neue, UNO-gestützte Regierung ernannte Koyt zur Direktorin der nationalen UNESCO-Kommission.

Koyt zufolge befindet sich die Zentralafrikanische Republik weiterhin im Griff der verschiedenen Streitparteien. Vor allem die christliche Anti-Balaka-Miliz, die sich als bewaffnete Antwort auf die muslimische Séléka bildete, droht, den Friedensprozess zu zerschlagen. Seit 14 Monaten herrscht in dem armutsgeplagten Land Bürgerkrieg. Trotz eines Waffenstillstandsabkommens wird der Alltag immer noch von Anarchie geprägt. »Einzig die UN-Truppen dürfen Feuerwaffen benutzen. Aber diese weigern sich, Risiken einzugehen und in die abgelegenen Gegenden vorzudringen, wo sich die Rebellen unter der Bevölkerung verstecken«, so Koyt.

Die UN-Mission MINUSCA zählt derzeit 8700 Soldaten. Ein Gefühl der Sicherheit vermittelt sie nur wenigen Zentralafrikanern. Im Januar wurde der Minister für Jugend und Sport, Armel Mingatoloum Sayo, am hellen Tag aus seinem Wagen gezerrt und entführt. Er war bereits das dritte Entführungsopfer neben einem UN-Mitarbeiter und einem französischen Entwicklungshelfer. Alle drei entkamen ihren Kidnappern. Es wird vermutet, dass es sich dabei um die Anti-Balaka-Miliz handelt, die immer noch mehrere Bezirke Banguis kontrolliert. »Die ganze Bevölkerung ist Geisel dieser Gruppe«, zitiert die Deutsche Welle den zentralafrikanischen Kommunikationsminister Victor Waké.

Koyt nach ist es derzeit »unmöglich«, alle Regionen unter die Kontrolle der Zentralregierung zu bringen. Beamte, die in entlegene Regionen entsandt werden, würden entweder getötet oder vertrieben. Von der Repression sind auch humanitäre Helfer nicht ausgenommen, berichtet Abdraman Issa Algueche, Freiwilliger des Roten Kreuzes in Bangui. »Letztendlich kann niemand unsere Sicherheit garantieren. Wenn ich zu Einsätzen in gefährdete Gebiete ausrücke, habe ich oft Angst. Das Rotkreuz-Logo hilft kaum.« Vergangenes Jahr sorgte die Ermordung des Rotkreuz-Mitarbeiters Patrick Matede für Aufsehen. Rebellen hatten ihn in Bangui gelyncht.

Die UNO hält an einem Fahrplan fest, der das Land zurück in die Demokratie führen soll. Spätestens im Juli sollen Parlamentswahlen stattfinden - ein Urnengang, der Kritikern zufolge jedoch unrealistisch ist. »In weiten Teilen des Landes kann niemand frei sprechen«, so Koyt. »Wo die Rebellen herrschen, kann es keine freien Wahlen geben und selbst wenn die Wahlen transparent wären, könnten die Ergebnisse unter den aktuellen Umständen nachträglich gefälscht werden.«

Einen gescheiterten Staat sieht die UN-Mitarbeiterin allerdings noch nicht. Tatsächlich könne die Interimsregierung auch erste Erfolge nachweisen. »Samba-Panza ist es zu verdanken, dass Beamte wieder arbeiten und regelmäßig bezahlt werden - selbst, wenn das nur durch Geld befreundeter Länder möglich ist. Der Großteil der Schulen unterrichtet wieder und es ist möglich, auf den Märkten an Lebensmittel heranzukommen.« Koyt zufolge braucht es für Stabilität nicht erstrangig Wahlen, sondern eine nationale Aussöhnung und eine rechtliche Aufarbeitung. »Diejenigen, die Menschen getötet oder unser Land niedergebrannt haben, müssen den Preis dafür zahlen. Andernfalls werden sich immer Menschen veranlasst fühlen, selbst zu den Waffen zu greifen und Rache zu üben.«

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