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Rauchiges Röhren und jiddische Weltmusik

Beim Festival Musik und Politik locken Cynthia Nickschas und Daniel Kahn

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie röhrt auf CD wie auf der Bühne. Wer beim Konzert am kommenden Sonntagabend Gefallen an Cynthia Nickschas findet, kann beruhigt zu ihrem ersten Studio-Album greifen, das im Herbst erschienen ist. An den zehn Liedern (insgesamt immerhin eine Dreiviertelstunde Musik) wurde zwar insoweit gefeilt, als dass sie nicht alle im selben musikalischen Stil erklingen - aus der 27-jährigen Sängerin und Gitarristin sprudelt es aber weiterhin nur so heraus.

Das Festival Musik und Politik bietet in diesem Jahr - neben dem »Liederpreisträger« der »Liederbestenliste« 2014 und Polit-Aktivisten Heinz Ratz mit seiner Band »Strom & Wasser« - zwei Sängerinnen mit Straßenmusik-Vergangenheit. Das sind zum einen die schon ziemlich bekannte Dota Kehr und zum anderen die noch eher unbekannte Cynthia Nickschas mit ihrer Band, früher schlicht »Cynthia & Friends«. Vom Stil her haben die beiden aber nicht viele Gemeinsamkeiten. Ob persönliche Krisen oder die Schlechtigkeit der Welt - die Bonnerin Nickschas hat so einiges loszuwerden und legt sich dabei ins Zeug, mal pöbelnd, mal Ratschläge gebend.

Das klingt dann nicht nur wegen des rauchigen Röhrens, ihres Markenzeichens, lustvoll. Keines der zehn Lieder kommt ohne »Ououohs«, »Tatatas« oder »Dadadeis« aus - und, mehr Authentizität geht wohl nicht, jedes Lied singt sie aus der Ich-Perspektive heraus. So manches Mal wird auch ein »Du« oder »Ihr« angesprochen, sei es kritisch oder solidarisch. Cynthia Nickschas ist sich nicht zu schade, gegen »negative Gedanken« anzusingen, uns zuzurufen »Tanz und lieb und leb!« und auch einfach mal festzuhalten: »Leute, hier feeeeeehlt’s ganz schön an Liebe!« Das auf Konrad Weckers Label »Sturm & Klang« erschienene Album »Kopfregal« ist ein markantes Debüt. Wir dürfen gespannt sein, ob Nickschas zukünftig auch aus etwas anderem als aus Selbstbezüglichkeit Lieder machen kann und will.

Ein ganz anderes Kaliber ist da der am Samstagabend auftretende Daniel Kahn mit seiner Band The Painted Bird. Es ist zwar auch eine Art Selbstbezüglichkeit, die der jüdischstämmige US-Amerikaner, der seit Jahren in Berlin lebt und alle seine vier Alben hier aufgenommen hat, in seiner Musik ausdrückt. Doch Kahn, Jahrgang 1978, bietet in seinen Liedern eine thematische Vielfalt, die ihresgleichen sucht: Er spielt jiddische Lieder nach, ob fröhlich oder traurig, ob der sozialistischen Bewegung oder einem viel älteren kollektiven Gedächtnis entstammend; er vertont jiddische Texte und gar Witze; er schreibt eigene Lieder, überwiegend mit historischem oder zeitgenössischem Bezug; und er wagt sich sogar an Interpretationen von Brecht- und Tucholsky-Texten sowie deren Eisler-Vertonungen. An die jiddischen und deutschen Originalverse schließt er englische Übersetzungen an, die meistens von ihm selbst stammen. In seinen eigenen Liedern kommen ebenfalls alle drei Sprachen vor.

Musikalisch wechseln sich bei Daniel Kahn quirliger Klezmer, Balkan- und Kabarett-Polka mit Balladen, Klageliedern und anderen getragenen Stücken ab, hin und wieder darf es auch mal ein bisschen schräg oder punkig klingen. In einem 2009 erschienenen Interview sagte er: »Ich mische jiddische Musik und Folk-Songs mit einer Art Brecht’schem Kabarett.« Das Ergebnis nannte er »Verfremdungsklezmer«. Dabei ist der studierte und weiterhin aktive Schauspieler und Theaterregisseur gar nicht mit jüdischer Kultur oder gar der jiddischen Sprache aufgewachsen, fügte er hinzu. Ihr Reiz für ihn: »Jiddisch ist eine hybride Sprache, es kann nicht mit einer bestimmten Nation assoziiert werden. Insofern ist es international, und von diesem Modell können wir eine Menge lernen. Jüdisch wird heute oft mit Nationalismus und Religion in Verbindung gebracht. Ich dagegen will die humanistische, sozialistische und subversive Seite erkunden.«

Daniel Kahn ist darüber hinaus Multiinstrumentalist mit einer langen Laufbahn durch diverse künstlerische Projekte. Nicht nur seine Alben wurden im In- und Ausland hochgelobt - auch seine energetischen und unterhaltsamen Auftritte haben schon oft zu schwärmerischen Kritiken geführt.

Festival Musik und Politik, 27. und 28.2., WABE/Jugendtheateretage, Danziger Str. 101, 10405 Berlin. Beim »Liederpodium« am 28.2. von 15 bis 18 Uhr spielen Frank Viehweg und andere bei freiem Eintritt. www.musikundpolitik.de

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