Mindestlohn ist Verhandlungssache

Zukünftig soll eine unabhängige Kommission die Höhe der Lohnuntergrenze festlegen

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine Kommission soll die Auswirkungen der Lohnuntergrenze untersuchen und einen angemessen Mindestlohn festsetzen. Die Union will mehr.

Der gesetzliche Mindestlohn beträgt 8,50 Euro. Diese seit Januar geltende Lohnuntergrenze ist aber nicht für alle Zeit festgeschrieben. Eine achtköpfige Kommission soll zukünftig entscheiden, in welchen Schritten der Mindestlohn angehoben wird. Am 30. Juni 2016 soll sie einen verbindlichen Vorschlag machen. »Mit Wirkung zum 1. Januar 2017« soll diese Empfehlung dann umgesetzt werden, so will es das Mindestlohngesetz. Danach soll die Kommission im Zwei-Jahres-Turnus die Anpassungen vornehmen. Am Freitag traf sich das Gremium in Berlin zu seiner konstituierenden Sitzung. »Unabhängig und faktenbasiert« wolle man eine Entscheidung treffen, sagte der Kommissionsvorsitzende Henning Voscherau vor dem ersten Treffen. Der ehemalige Hamburger Bürgermeister und gescheiterte Gas-Lobbyist war auf gemeinsamen Vorschlag von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zum Vorsitzenden bestellt worden. »In den deutschen Medien ist man immer gleich Chef«, wiegelte der Sozialdemokrat ab und spielte seine eigene Rolle im Poker um die zukünftige Höhe des Mindestlohns herunter. Schließlich müsse er sich, so Voscherau, bei der ersten Abstimmung im Gremium der Stimme enthalten. Doch ganz so machtlos ist der Vorsitzende nicht: Dem neunköpfigen Gremium gehören jeweils drei Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern an, also drei Gewerkschaftsfunktionäre und drei Lobbyisten aus Industrie, Handwerk und Dienstleistungsgewerbe. Zudem sitzen zwei Wissenschaftler mit am Tisch. Allerdings nur als Berater. Stimmberechtigt sind die beiden nicht.

Wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht einigen können, muss Voscherau einen Vermittlungsvorschlag machen. Sollten sich die Tarifpartner darauf nicht einlassen, würde sein Votum entscheiden, da im Gremium die einfache Mehrheit genügt. Somit wäre der Sozialdemokrat mit seinem »kleinen Stimmrecht« das Zünglein an der Waage.

Kritik am Abstimmungsverfahren kommt von der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer. Sie verweist auf Großbritannien. In der Londoner Mindestlohnkommission seien auch die Wissenschaftsvertreter stimmberechtigt. »Die Bundesregierung will die Wissenschaft an den Katzentisch der Kommission verbannen. Das ist ein schwerer Fehler, denn insbesondere die Beteiligung der Wissenschaft hat in England zur breiten Akzeptanz des Mindestlohns geführt«, sagte Pothmer der »Süddeutschen Zeitung«.

Von »nd« auf die Kritik Pothmers angesprochen, erklärte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD): man habe »bewusst auf die Stärke der deutschen Sozialpartnerschaft gesetzt«. Deshalb sollten die Sozialpartner allein die Mindestlohnhöhe festlegen. Die Kommission soll dabei unabhängig in ihrer Entscheidung sein, wie Nahles betonte. »Wir wollen keinen politisch festgesetzten Mindestlohn«, so die Ministerin. IG-BAU-Chef Robert Feiger, der der Kommission angehört, erklärte: »Die jetzige Mindestlohnhöhe von 8,50 Euro wurde vom Parlament beschlossen. Das war eine Ausnahme zur Einführung, und es ist gut, dass es bei diesem einen Mal bleibt.«

Allerdings agiert das Gremium nicht nach eigenem Gutdünken. Die sechs stimmberechtigten Mitglieder müssen sich »nachlaufend an der Tarifentwicklung« orientieren, so will es das Mindestlohngesetz. Die Richtwerte soll der Tarifindex des Statistischen Bundesamtes liefern. Der Index spiegelt die Entwicklung der tariflichen Monatsverdienste in »ausgewählten Branchen« wider. Diese Orientierung am Faktischen soll verhindern, dass die Kommission mit ihren Entscheidungen die Tarifverhandlungen beeinflusst. Zudem schaut man, welche Auswirkungen der Mindestlohn auf Branchen und Regionen hat.

CDU und CSU wollen eine andere Schwerpunktsetzung. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Karl Schiewerling (CDU), forderte am Freitag, das Gremium solle prüfen, ob die als »zu bürokratisch« kritisierten Dokumentationspflichten wirklich erforderlich seien. Die Unionsfraktion, in der nicht wenige den Mindestlohn ablehnen, will die Schwelle für die Dokumentation der Arbeitszeit bei Mitarbeitern von 2958 auf 1900 Euro brutto Monatsgehalt herabsetzen. Nach den Vorstellungen von Schiewerling soll das Gremium hier tätig werden. »Die Kommission prüft die Auswirkungen des Mindestlohnes auf Branchen und Regionen und die Erforderlichkeit der vielfach kritisierten Dokumentationspflichten.« Das Thema dürfte für einigen Zwist in der Koalition sorgen, denn Andrea Nahles sieht die eigentliche Aufgabe der Kommission in der Festsetzung der Höhe der Lohnuntergrenze.

Doch eines will und darf die Kommission auf keinen Fall, wie Voscherau unterstrich. Für etwaige Verstöße gegen die Bestimmungen sei das Expertengremium nicht zuständig. »Das macht der Zoll«, so Voscherau.

Der Sozialdemokrat gab sich am Freitag zuversichtlich, dass die Zusammenarbeit im Gremium funktionieren wird. Man sei »ohne Entscheidungsdruck«. Schließlich müsse man erst am 30. Juni 2016 ein Ergebnis präsentieren. Bislang habe man auch keinen Sitzungsplan. Selbst wann die Kommission das nächste Mal zusammentreffen wird, konnte Voscherau am Freitagmorgen noch nicht sagen.

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