»Patrioten, die Gehirn abgeben«

5000 Teilnehmer bei Demonstration für Flüchtlingsrechte in Dresden / LINKE: Sachsen soll guten Beispielen folgen

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.
In Dresden haben am Samstag 5000 Menschen mehr Rechte für Flüchtlinge gefordert. Die LINKE drängte zuvor auf eine bessere Asylpolitik.

Mindestens drei Aufrufe, die mehr als 800 Einzelpersonen und viele Organisationen unterzeichnet hatten - die Demonstration am Samstag in Dresden sollte ein deutliches Zeichen sein. Es ging, wie auf bunten Luftballons vor der Semperoper zu lesen war, um ein »Welcome« für Flüchtlinge - und es ging gegen die islamfeindliche Initiative Pegida, die für diesen Montag erneut zu einem »Spaziergang« aufruft. Die Bewegung, die seit Oktober aktiv ist, wird im Aufruf von Wissenschaftlern als die »bedeutendste Strömung der Gegenaufklärung in der jüngeren deutschen Geschichte« eingestuft. Sie zeuge von einer »sozialen Dynamik, die gefährlich ist«.

Die Folgen seien für Migranten im Alltag spürbar, sagt die Kurdin Berfin K.: »Wir Ausländer müssen mit komischen Blicken rechnen, wenn wir unsere Muttersprache sprechen«, sagte die junge Dresdnerin. Dabei seien die Sorgen vor der von Pegida beschworenen angeblichen »Islamisierung« schon allein angesichts der geringen Zahl der in Sachsen lebenden Muslime grotesk, sagte Berfin K. und übersetzte unter großem Beifall das Kürzel der Bewegung mit »Patriotische Europäer, die Gehirn abgeben«.

Die durch Pegida geschürte Stimmung hat für Zuwanderer freilich oft mehr als schiefe Blicke zur Folge, sagt Andrea Hübler von der Opferberatung RAA. Die Zahl rassistisch motivierter Übergriffe in Sachsen nahm 2014 um 90 Prozent zu. In Dresden allein gab es 36 Übergriffe, davon 14 seit Oktober. Hübler sprach von einem »Klima, das für Geflüchtete gefährlich ist«. Dresden, sagte sie, habe »ein Problem mit Rassismus«.

Die Demonstration sollte freilich auch zeigen, dass sich die Stadt dagegen wehrt. Aufgerufen hatten Studenten, Gewerkschaften und Parteien von LINKE über SPD bis Grüne; die für Integration und für Wissenschaft zuständigen SPD-Ministerinnen Petra Köpping und Eva-Maria Stange nahmen teil. Ali Moradi vom Flüchtlingsrat lobte, dass zahlreiche Migranten sich an der Organisation beteiligt hätten. »Wir waren einige Monaten in der Defensive und wurden von Pegida und einer Welle von Rassismus überrollt«, sagt er: »Jetzt müssen wir uns wiederfinden.«

In dem Aufruf der Flüchtlinge werden auch konkrete Forderungen formuliert. Zuwanderer wünschten nicht nur gleiche Pflichten, sondern auch gleiche Rechte wie Deutsche, heißt es. So »würden wir gern arbeiten und unseren Lebensunterhalt selbst verdienen« sowie in Wohnungen statt in Heimen leben. Die dortige Situation sei oft »katastrophal und für viele von uns ein Schock«. Einfühlungsvermögen könnte solche Zustände verhindern, wie ein Transparent nahelegt. »You can also become refugees«, war dort zu lesen: »Auch ihr könnt zu Flüchtlingen werden«.

Derweil hält im Freistaat die Diskussion um die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen an. Nach Kritik von Kommunen hatte ein »Lenkungsausschuss Asyl« zuletzt bessere Finanzierung und klare Absprachen des Freistaats mit Landkreisen und Kommunen beschlossen. Diese hatten kritisiert, dass bei der Erstunterbringung der Flüchtlinge häufig ohne Abstimmung entschieden werde.

Politiker der LINKEN halten diese Vereinbarungen prinzipiell für sinnvoll, werfen dem Land aber vor, viel zu spät reagiert zu haben und positive Ansätze in einzelnen Kommunen durch eine »verantwortungslose und ignorante Politik von oben« zu torpedieren, wie die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel sagt. Sie bezog sich etwa auf die Frage der Unterbringung. Im Land werden derzeit Behördengebäude und Turnhallen zu Unterkünften umfunktioniert. Dass die Zahl der Zuwanderer von 11 700 im Jahr 2013 auf jetzt geschätzte 20 000 ansteigen würde, »war angesichts der Krisen in der Welt aber zu vermuten«, sagt sie. Ein Konzept zur Unterbringung sei im Freistaat dennoch erst im Februar 2014 beschlossen worden; ein Asylgipfel tagte erstmals im vorigen November.

Viele mögliche Antworten auf die steigenden Zuwandererzahlen müssen dabei im Freistaat nicht eigens erfunden werden. Bei zwei Veranstaltungen am Freitag stellte die LINKE »Best-Practise-Beispiele« aus anderen Ländern vor. Cornelia Ernst, Innenpolitikerin im Europaparlament, verwies etwa auf kostenlose Sprachkurse für Zuwanderer in Schweden oder ein hessisches Netzwerk, das bereits 900 Asylsuchende in Arbeit gebracht habe. »Andere Bundesländer haben viel früher angefangen«, sagt Ernst.

Auch in Sachsen gebe es gute Beispiele, sagt Nagel. So finanziere die Stadt Leipzig einen Sozialbetreuer für je 50 Flüchtlinge; Sachsen strebt nur einen Schlüssel von 1 : 150 an. Im Landkreis Sächsische Schweiz / Osterzgebirge wird ein Konzept der dezentralen Unterbringung verfolgt, das auf Massenunterkünfte verzichtet; es habe sich bewährt. Gesetze in Bund und Land sähen aber noch immer die Heimunterbringung als Regelfall an. Das, sagt Nagel, »muss sich ändern«.

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