Kumpel-Protest und Hamsterkäufe

UNO zählt 6000 Tote im Ukraine-Konflikt / Angst vor einer Verschärfung der sozialen Krise

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 2 Min.
Im Zuge des Friedensplanes von Minsk sind die bewaffneten Auseinandersetzungen in der Ukraine stark abgeflaut. Stattdessen rückt sozialer Protest in den Vordergrund.

Die schweren Waffen werden von der Frontlinie im ostukrainischen Konfliktgebiet zurückgezogen. Doch die Auseinandersetzung wurde »gnadenlos« ausgetragen, wie es in dem Montag vorgelegten Bericht des UN-Menschenrechtsrates in Genf heißt. Vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen hätten darunter gelitten.

Nach den UN-Angaben starben dabei seit April 2014 rund 6000 Menschen, 14 700 wurden verletzt. Im Report des Hochkommissariats ist von willkürlichen Erschießungen, Verschleppungen und Folter die Rede. Dabei werden die meisten Kriegsverbrechen den Rebellen zur Last gelegt. UN-Hochkommissar Ra’ad al-Hussein mahnte die Konfliktparteien, die Minsk-II-Vereinbarungen über einen Waffenstillstand einzuhalten.

Während es im Krisengebiet ruhiger wird und nur noch vereinzelt zu Schusswechseln kommt, gewinnen die sozialen Fragen an Schärfe. Rund 1000 Kumpel forderten zum Wochenanfang die Zahlung ausstehender Löhne und Stützungen für den Bergbau zuerst vor dem Parlament und dann dem Regierungssitz in Kiew. Nach einem Plan des Kabinetts soll der Wirtschaftszweig reformiert und 35 seiner bislang staatlichen Betriebe privatisiert werden. Die Bergarbeiter forderten wie auch bei früheren Aktionen, dass Mittel für die Modernisierung der zum Teil mit Verlust arbeitenden Zechen bereitgestellt werden.

Den zuverlässigsten Aufschluss darüber, was die Ukrainer erwarten, gibt ihr Kaufverhalten. Sie decken sich mit Buchweizen und Zucker ein, rechnen also mit einer weiteren Verschärfung der Krise. »Ich hatte leider einen verrückten Tag«, entschuldigte sich Zentralbankchefin Waleria Gontarewa bei einem Besuch der »Ukrainskaja Prawda«. Sie hatte gerade aus dem Rundfunk erfahren, dass die Menschen seit geraumer Zeit diese Lebensmittel hamstern und nannte deren Verhalten »irrational«.

Der Tag hätte noch etwas verrückter werden können, doch wurde eine Meldung über den Rücktritt der Bankchefin erst einmal nicht bestätigt. Das galt freilich auch für die offiziellen 28,5 Prozent Jahresinflation. Die wäre nach einem Bericht der »Washington Post«, die sich auf namhafte US-Wirtschaftsexperten berief, mit 272 Prozent anzusetzen.

Die Werte dürften noch weniger rational erscheinen, wenn es für die ukrainisch-russische Gaskrise keine rasche Lösung geben sollte. Denn Russland will seine Lieferung im Voraus bezahlt bekommen, wobei die in die Ostukraine gelieferten Mengen eingerechnet werden sollen. Der ukrainische Gaskonzern Naftogaz hatte über schadhafte Leitungen geklagt und die Lieferung in die aufständische Region gestoppt. Die russischen Ersatzlieferungen will die ukrainische Führung aber nicht bezahlen, da sie keine Kontrolle über Menge und Verwendung habe. Am Nachmittag waren Gespräche beider Seiten unter EU-Vermittlung in Brüssel angesetzt. Immerhin drohen ein russischer Lieferstopp und die Gefährdung der Versorgung Westeuropas, da die Ukraine im Fall des Falles wie schon in der Vergangenheit die Transitpipelines illegal anzapfen könnte. Kommentar Seite 4

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