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Blut ist klebriger als Wasser

Calixto Bieito verbindet in der Komischen Oper Berlin Puccinis »Gianni Schicchi« mit Bartóks »Herzog Blaubarts Burg«

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Idee, das dritte, komische Stück aus Giacomo Puccinis »Il Trittico« mit Béla Bartóks einziger Oper zu koppeln, ist ein theatralischer Geniestreich. Die Erbschleicher-Komödie »Gianni Schicchi« und das dunkel symbolistische Märchen »Herzog Blaubarts Burg« bringen die Zeichen der lachenden und der weinenden Maske, in Wirklichkeit die lachende und die weinende Seele der Zuschauer, am Ende in ein Gleichgewicht. Doch ist der Besucher dann nicht mehr der gleiche wie jener, der das Zauberhaus Theater zwei Stunden zuvor betreten hatte. Er weiß etwas mehr über sich selbst.

Renaissance-Zeit in Florenz. Buoso Donati, der Gebende, segnet das Zeitliche und die gesamte Sippschaft kann den letzten Atemzug kaum erwarten. Fatal nur, Buosos Gaben werden, so das Testament, die Mönche im nahen Kloster erfreuen. Den Ausweg bietet der bauernschlaue Gianni Schicchi. Als Buoso verkleidet diktiert er dem Notar ein zweites Testament: Häppchen für die lieben Verwandten, den fetten Brocken für sich selbst, und - »O mio babbino caro« - seine Tochter schmeichelt dem lieben Väterchen, freilich etwas robust gesungen, auch einen ordentlichen Anteil für sich und den Liebsten ab. Liebespaar und Schelm, Geizige und Gierige, Doktor und Notar ergeben zusammen eine Puccini-veredelte Commedia dell’arte.

Regisseur Calixto Bieito griff mit vollen Händen in die Tiefe der Klamottenkiste. Wie wurde getobt und geturnt, geschmatzt und geschleckt, geklagt und gekichert, auch gestriegelt und gestreichelt, wo immer eine Körperrundung sich zeigte. Und, o Wunder, das alles unverkrampft und vergleichsweise unpeinlich. Den derben Improvisationen der wirklichen Commedia dell’arte hat Bieito durchaus Genüge getan. Die ganze Schwärze dieser menschlichen Komödie - die aus Dantes »Divina commedia« stammt - rieselt erst nach und nach ins Gehirn. Geldgier statt Güte, ein Schlangengezücht die ganze Verwandtschaft, ob 1299 oder 2015. Blut ist dicker als Wasser, vor allem klebriger. Aber keine Panik, es gibt auch andere Verwandte. Selbst dies nimmt man mit.

Henrik Nánási und das Orchester der Komischen Oper waren besser aufgelegt als zu manch anderem Spiel. Vor allem im gepflegten Detail musizierte man prickelnd, sprühend gestisch, behände plaudernd und parlierend. Aber die Musik hat auch den anderen Ton drauf, süßen Puccini-Schmelz, gern auch ein bisschen ironisch übertrieben: »Addio Firenze«, das klingt als wäre es der große Liebesabschied, meint aber die Androhung von Verbannung, falls der Betrug entdeckt wird. 16 Leute, bestens aufgelegte Ensemblemitglieder, drängeln sich in diesem Gesangs-Kunst-Kammerspiel auf der Bühne. Genauer gesagt verkeilen sie sich in einem hoffnungslos vollgekramten, mit reichlich Madonnenbildern überdekorierten Flohmarkt-Gründerzeit-möblierten Zimmer, das Rebecca Ringsts Bühnenbild-Phantasie wahrscheinlich nach einem allzu üppigen Abendessen entsprungen ist.

Ihr Alptraum materialisierte sich als Burg des Herzogs Blaubart. Das Zimmer zerspringt im zweiten Teil des pausenlosen Abends in umherirrende Teile, andere Häuserstücke, bürgerliche Fassaden, nackt aufgemauerte Ziegelwände, krude Säuferkabuffs, gar eine Herrentoilette rotierten umeinander in nebliger Finsternis, grell erleuchtet oder grau verschattet von Frank Ewin und Rosalia Amato. Kein Saal, keine sieben Türen, nur zwei durch diese Unorte treibende Menschen mit ihrer dünnen Haut, Judith und Blaubart.

Trotz seiner Warnungen folgt sie ihm in die dunkle Burg. So groß ist ihre Liebe. Judith will Licht in den finsteren Bau bringen und fordert die Schlüssel für sieben verschlossene Türen. Blaubart gibt sie ihr. Bieito lässt nun nicht das alte Märchen spielen, in dem sich Folterkammer, Waffenkammer, Schatzkammer, Garten, weite Lande und der Tränensee vor Judith eröffnen, bis sie als Frau der Nacht zu denen des Morgens, Mittags, Abends in den siebenten Raum gehen muss. Bei Calixto Bieito werden Häutungen vollzogen, um in die Kammern der Seele zu dringen. Judith insistiert im Namen der Liebe, Blauart warnt und gibt ihr nach im Namen der Liebe. Strahlendes C-Dur bei dem fünften Schlüssel, lichtüberflutet ist die Burg. Heller kann es nicht mehr werden, aber sie bohrt weiter, tiefer als bis aufs Blut, integritätsverletzend. Sie kommt bis an die andere Elsa-Frage, wen hast du vor mir geliebt? Sein Ausweg ist nur noch die körperliche Macht. Er erstickt sie, vielleicht aus Liebe.

Singend kämpfen bis an die Haut; man sah den beiden exquisiten Protagonisten Ausrine Stundyte, Judith, und Gidon Saks, Blaubart, die unbedingte Hingabe an ihre Figuren in jeder Minute an. Am Ende völlige Erschöpfung. Bieito muss ein großer Motivator sein, Sänger in diese seelischen Extreme treiben zu können. Trotzdem saß jeder Ton bei der dramatisch lieblich herben Judith, beim etwas distanzierteren Blaubart.

Für Henrik Nánási war es offenbar Bartóks Affinität zu Debussy, die ihn besonders inspirierte. Vor allem in den dunklen Farben und klangraffinierten Details leuchtete das Orchesterspiel. Beide Stücke wurden 1918 uraufgeführt; bei Bartók ist die Tür zur musikalischen Moderne weit geöffnet.

Nach diverser schrill schräger Langeweile mal wieder ein gelungener Abend in der Komischen Oper.

Nächste Vorstellungen: 7., 15., 19.3.

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