Die Geister, die man rief

Kader Abdolah versteht sich in der Tradition von Firdausi und führt in die Geschichte Irans

  • Fokke Joel
  • Lesedauer: 3 Min.

Der seit 1988 im niederländischen Exil lebende Kader Abdolah ist ein Meister des Erzählens, was vor allem an seiner Kunst des Weglassens liegt. Das zeigt sich auch in seinem neuen Roman, »Der König«, wo es um Schah Naser Mohammed Fatali Mozaffar geht, der Iran von 1848 bis 1896 regierte. Er erzählt genau das, was interessant und spannend ist. Und er verzichtet auf überflüssige Psychologie und exotistisch verklärende Schilderungen der orientalischen Welt.

Schah Naser war der letzte Herrscher, der Iran unumschränkt regierte. Wobei »unumschränkt« gleich zu Beginn des Buches in Frage gestellt wird. Denn Iran ist im 19. Jahrhundert ein bettelarmes Land, in dem mittelalterliche Verhältnisse herrschen. Es ist mehr oder weniger machtlos den europäischen Großmächten ausgesetzt. Aber auch innerhalb des Palastes wird der König unter Druck gesetzt. Seine mächtige Mutter will, dass alles so bleibt, wie es war. Während Nasars Großwesir, Mirza Kabir, einer der weitsichtigsten persischen Politiker des 19. Jahrhunderts, zu einer Modernisierung des Landes drängt.

Die Sympathien Kader Abdolahs liegen klar bei der Reformbewegung der meist in Europa ausgebildeten Bürgersöhne. Trotzdem hat er den Schah zur Hauptfigur gemacht. Eine kluge Entscheidung, denn so verlor er nicht die Distanz zu seinen Figuren. In einer kurzen Einleitung verweist Abdolah auf die persische Erzähltraditon, auf das Heldenepos »Schahname« des berühmten mittelalterlichen Dichters Firdausi und seinen erfundenen Helden Rostam. Neunhundert Jahre hat Firdausi seinen Helden leben lassen, hat Fakten erzählt und dazuerfunden, damit er die große Geschichte der persischen Herrscher erzählen konnte.

Kader Abdolah versteht sich in der Tradition von Firdausi und will die Geschichte Irans im 19. Jahrhundert vor dem Vergessen bewahren. Nicht, weil Naser Mohammed Fatali Mozaffar mit den großen persischen Königen der Antike zu vergleichen wäre, sondern weil in der Zeit, in der er regierte, die Weichen für die Situation im heutigen Iran gestellt wurden. Als besonders tragisch in dieser Hinsicht sollte sich die von Abdolah geschilderte Rolle der Religion herausstellen. Denn traditionell waren die Imame und Ayatollahs in Iran nicht an politischer Macht interessiert. Aber sie waren die Einzigen, die Einfluss auf die Masse der ungebildeten Bevölkerung hatten. Um dem Schah eine konstitutionelle Monarchie, eine Verfassung und bürgerliche Gesetze abzuringen, mussten seine Gegner auf diesen Einfluss der religiösen Führer zurückgreifen. Nur mit Hilfe der Ayatollahs konnten die ersten Aufstände und - nach Schah Nasers Tod - die konstitutionelle Monarchie durchgesetzt werden. Eine Politisierung des Islam, die in die Revolution von 1978 mündete. Sodass man sagen kann, Iran ist den Geist, den die demokratisch gesinnten Politiker des 19. Jahrhunderts riefen, bis heute nicht los geworden.

Kader Abdolah: Der König. Roman. Übersetzt von Christiane Kuby. Ullstein. 400 S., geb., 21,99 €.

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