Der große Ausverkauf

Das Lichtblick-Kino erinnert mit sechs Filmen an den Bergarbeiterstreik unter Margaret Thatcher

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Von März 1984 bis März 1985 streikten in Nordengland und Wales die Bergarbeiter, der längste Streiks der britischen Geschichte. Es ging um Zechenschließungen, um Privatisierung, um zehntausendfach drohenden Arbeitsplatzverlust - und um die Macht der Gewerkschaften. Sie waren Premierministerin Margaret Thatcher ein Dorn im Auge, wie allerdings auch die Subventionen, die in den Bergbau flossen, und die hohe Abhängigkeit des Landes von Kohle als vorrangiger Energiequelle. Also rang sie sie nieder. Von der Spaltung, die ihre Politik einleitete, hat sich die britische Gesellschaft bis heute nicht erholt. Sie hat Geiz und Gier salonfähig gemacht und das allgemeine Wohl zugunsten von Partikularinteressen ausverkauft.

Die Filme, die das Lichtblick-Kino zum 30. Jahrestag des Streikendes zeigt, feiern die andere Seite der Medaille: eine Arbeiterkultur, die (nach anfänglichen Abspaltungen) nahezu geschlossen um ihren Fortbestand kämpft, und die praktische Anwendung von Werten wie Solidarität, Widerstandsgeist und Improvisationskunst. Von Klaus Wildenhahns zweiteiligem Arbeiterfilm »Yorkshire« abgesehen, stammen alle Filme aus Großbritannien. Wildenhahns Film, der 1984 für den NDR entstand, ist eine Bestandsaufnahme der Motivationen, Taktiken und Befindlichkeiten der Streikenden, Gewerkschafter und gelegentlichen Streikbrecher an einer Zeche in Nordengland wenige Monate nach Beginn und dann noch einmal im kalten Winter gegen Ende des Streiks.

Ein zeitgenössischer Fernsehfilm von Ken Loach gibt der Reihe den Titel: »Which Side Are You On?« (Auf welcher Seite steht ihr?). 1984 gedreht, lässt er das bittere Ende dieses Arbeitskampfes noch bloß ahnen. Auch Loach lässt die Bergleute für sich sprechen, er filmt Versammlungen und Protestkonzerte, zeichnet Arbeiterlyrik und Arbeiterlieder auf, filmt Mittagstische für die Streikenden und ihre Familien, bezahlt aus Gewerkschaftskassen und den Spenden der Bevölkerung - eine Selbsthilfemaßnahme gegen das programmatische Aushungern eines ganzen Industriezweiges, das die Regierung versuchte. Und er filmt fassungslose Berichte über Polizeigewalt und brutale Repression. Ein Urvertrauen ging da verloren, der Nachbarschafts-Bobby von einst verlor seinen Nimbus, die Polizei wurde zum Feindbild, weil sie nicht im Dienst der Allgemeinheit agierte, sondern sich instrumentalisieren ließ. Das Lied, das den Titel seines Films abgibt, stammt übrigens aus einer anderen streikerprobten Bergarbeitergegend, aus Harlan County, USA.

In Loachs jüngerem »The Spirit of ’45« (Der Geist von 1945) kann man - in einer allerdings propagandistisch überhöhten und dann doch leicht geschlichtsklitternden Version - sehen, was sonst noch alles verloren ging in den Thatcher-Jahren. Denn hier feiert Loach mit viel Archivmaterial und Zeitzeugenaussagen im Nachhinein noch einmal die Errungenschaften, die die Nachkriegsjahre unter Clement Attlees Labour-Regierung mit sich brachten. Es sind die Verstaatlichungen im Transportwesen und im Gesundheits- und Energiesektor, die Thatcher keine vier Jahrzehnte später mit ihrer Privatisierungsorgie und Anti-Gewerkschaftspolitik weitgehend zurücknehmen sollte. Der Aufbruch in den Wohlfahrtsstaat der frühen Nachkriegszeit, den Loach hier zelebriert, verlor den Kampf gegen die neoliberale Wirtschaftsgläubigkeit, die auch für die Banken-Crashs der jüngeren Vergangenheit verantwortlich ist.

Die Feinde, die man mit den streikenden Bergarbeitern teilte - Polizei, Presse und Premierministerin - waren der Auslöser für eine auf den ersten Blick eher unwahrscheinliche Solidaritätserklärung, die historisch verbürgt ist: die einer schwullesbischen Aktivistengruppe aus London, die auf die Straße ging, um für die Streikenden zu sammeln. »Pride« (Regie: Matthew Warchus) ist der neueste der Filme in der Lichtblick-Reihe, ein Jahr erst alt, und der mit Abstand aufbauendste. Auch wenn am Ende klar ist, dass alle Solidarität nicht ausreichte im Kampf mit der Regierungspolitik, dass der Streik seine Ziele verfehlte und die Jahre der Aids-Krise in Kürze eine brutale Schneise durch die Aktivistenkreise schlagen würden - an der grundlegenden Erkenntnis, dass gegenseitige Toleranz und tätiges Mitleiden ein wirksames Mittel gegen Repression sind, kann das nichts mehr ändern. Und die zeitgenössische Pop-Musik, auch damit hat der Film Glück, eignet sich wunderbar für mitreißende Passagen.

In Stephen Daldrys »Billy Elliott - I Will Dance« (GB, 2000) dient der Streik eher als Hintergrundmotiv für die Selbstemanzipation eines spitzentanzenden Bergarbeitersohnes, der seinen ganz anders gearteten Berufswünschen nachgeht - die von seiner Familie prompt als bedenklicher Ausdruck fehlender Solidarität und Männlichkeit missverstandenen werden. Derweil sind Vater, Bruder und der Rest der Gemeinschaft mit dem Kampf um die Zukunft der Bergwerke beschäftigt. Eine musische Inspiration, die der Film mit dem sechsten Programm der Reihe gemein hat: »Fuel to Fight - Test Dept. and the Miners’ Strike« ist eine Sammlung kürzerer Filme und Musikvideos, in denen die Industrial Music der titelgebenden Band (Wikipedia vergleicht sie mit den »Einstürzenden Neubauten«) sich solidarisch mit einem Chor streikender walisischer Bergarbeiter zusammenfindet.

5.-18.3, Lichtblick-Kino, Kastanienallee 77, alle Filme mehrfach, einige Termine mit Einführung und Diskussion, Info unter (030) 44 05 81 79 oder www.lichtblick-kino.org

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