Auf die persönliche Tour

Der Dresdner Uwe Schulz zeigt seine Stadt jenseits der ausgetretenen Touristenpfade

  • Heidrun Böger, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem Vorbild internationaler Metropolen gibt es auch in Sachsens Landeshauptstadt Stadtführungen aus Einwohnersicht, die nicht nur zu den bekannten Attraktionen führen.

Wenn der Dresdner Uwe Schulz Gästen seine Stadt zeigt, dann geht es wenig um Zahlen und Fakten: »Wann August der Starke gelebt hat, das hört man und vergisst es wieder«, meint der 49-Jährige. Aber dass es am Geländer an der Brühlschen Terrasse angeblich einen Daumenabdruck vom großen König gibt, das sei viel interessanter. Man guckt und staunt über die Delle im Geländer, so wie Uwe Schulz es schon als Kind tat. Er ist ein Dresden Greeter (zu deutsch Begrüßer, Empfänger), ein Stadtführer der etwas anderen Art. Der gebürtige Dresdner will seine Stadt zeigen, wie sie fernab der ausgetretenen Touristenpfade ist - alternativ, anspruchsvoll, aufregend.

Die Idee kam ihm und seiner Frau, als sie vor zwei Jahren in New York waren. Dort lernten sie die Greeter kennen, New Yorker, die bei Führungen ihre Stadt zeigen, wie die Bewohner sie sehen. In New York gibt es 300 Greeter und über 7000 Anfragen jährlich. Die Bewegung entstand hier in den 90er Jahren und breitete sich in der ganzen Welt aus, auch in Deutschland, in München und Hamburg zum Beispiel. New York hatte damals einen schlechten Ruf, bestimmte Stadtviertel wie die Bronx waren verrufen. Dagegen wollten die New Yorker Einheimischen etwas tun. Neben Metropolen wie Paris und Buenos Aires sind es oft gerade unbekanntere Städte, die dem Global Greeter Netzwerk angehören. Brighton etwa, Nantes, Adelaide oder Houston: alles Ziele, an denen Touristen sonst gern vorbei fahren. Doch überall gibt es Menschen, die ihre Stadt lieben.

Uwe Schulz gründete die Dresden Greeter vor reichlich einem Jahr. Seitdem geht er mit Gästen durch seine Stadt, zeigt zum Beispiel leere rot umrandete Staffeleien. Blickt man hindurch, sieht man die historischen Dresden-Ansichten, wie sie der venezianische Maler Canaletto sah und malte. Schulz: »So etwas gibt es nur in Dresden.« Ortskenntnis und Enthusiasmus sind sein Markenzeichen. Natürlich schlendert er mit den Gästen auch durch die weltberühmte Innenstadt, Zwinger, Elbufer, Frauenkirche, Brühlsche Terrassen. »Ich besitze von meinem Vater in der 60er Jahren gemachte Fotos, die zeigen eine Wiese vor den Trümmern der Frauenkirche. Hier fuhr bis Mitte der 50er Jahre eine Dampflok, die Trümmer und Schutt beiseite schaffte.«

Es ist diese persönliche Sicht, die Touristen aus aller Welt die alternative Stadtführung buchen lässt. Schulz geht mit ihnen durch die Innenstadt, erzählt Anekdoten aus seiner Kindheit, aber auch wie die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg seine Familie getroffen hat. Er schlendert mit ihnen über die Augustusbrücke in die Neustadt: »Gern zeige ich die Kunsthof-Passage und mit der Pfundsmolkerei den schönsten Milchladen der Welt. Das Viertel ist bunt und gemischt, faszinierend.« Dabei gab es in den 80er Jahren Pläne, all das abzureißen.

Der Stadtführer will den professionellen Anbietern keine Konkurrenz machen. Er arbeitet ehrenamtlich, nimmt kein Geld. Die Gruppen sind bei ihm klein, maximal sechs Leute. Im Vordergrund steht das Gespräch zwischen Greeter und Gast. Meistens führt Schulz am Wochenende, da er seit einigen Jahren unter der Woche bei Zittau arbeitet. Dort ist er Produktionsleiter in einem internationalen Konzern: »Die Englischkenntnisse kommen mir am Wochenende zugute.«

Noch ist er der einzige Dresden Greeter. Er würde sich über Mitstreiter freuen, Leute, die ihr geliebtes Dresden Touristen aus ihrer subjektiven Sicht zeigen möchten. Uwe Schulz: »Gerade in Zeiten von Pegida ist es wichtig, dass die Welt sieht, wie die Dresdner wirklich sind.«

www.dresdengreeter.de

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