Kleine Lügen tun doch weh

»Das Verhör« im Kriminaltheater

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Geplänkel wird zur Schlacht am Tisch. Chief Inspector John Parker und Rechtsanwalt Adam Barklay kennen sich lange. Wie geht’s der Frau, wie geht’s den Kindern? Man(n) scherzt ein wenig. Barklay wurde wegen seiner Zeugenaussage noch mal kurz herangebeten. Doch verhängnisvoll verstrickt er sich in seinen Schilderungen. So geschieht es in dem spannenden Kammer-Thriller »Das Verhör«, den Wolfgang Rumpf im Berliner Kriminaltheater inszenierte.

Das Stück mit starken Charakterzeichnungen geht auf den Roman »Brainwash« (Gehirnwäsche) des Engländers John Wainwright zurück, der einstmals selbst als Polizist arbeitete, um sein Jurastudium zu finanzieren und 83 Krimis schrieb. Prominent besetzt, wurde das Buch in den Jahren 1981 und 2000 verfilmt - in Frankreich (»Das Verhör«) in den beiden Hauptrollen mit Linu Ventura und Michel Serrault, in den USA (»Mörderisches Spiel«) mit Morgan Freeman und Gene Hackman.

Ganz oder gar nicht, das gilt nun für Thomas Gumpert als Kriminalist und Ulrich Voß als Anwalt. Wie schon in seiner gelungenen Inszenierung des Gegenwartsromans »Der Seelenbrecher« des Berliner Erfolgsautors Sebastian Fitzek setzt Rumpf auf entfesselte Emotionen. Hervorragend inszeniert und gespielt, geraten Gumpert und Voß zunehmend in eine die totale Erschöpfung signalisierende Rage.

Der Anwalt, der zwei ermordete Mädchen fand und der Polizei meldete, nimmt das Gespräch zunächst nicht ernst und sonnt sich in gewohnter Arroganz, antwortet nachlässig, lügt. Aber kleine Lügen tun eben doch weh, muss er erfahren. Nach und nach bröckelt die Fassade. Zum Vorschein kommt ein erbärmlicher Kerl, der es aufgab, vergeblich an die Schlafzimmertür seiner jüngeren Frau zu klopfen. Ein Voyeur, der mit Kamera und Fernglas durch den Park schleicht, um Liebespärchen zu beobachten. Seine Frau Lilian Barklay (Heide Domanowski), selbst tragische Gestalt in der Zweckverbindung, stellt ihren Mann in die pädophile Ecke. Ihr Motiv scheint mehr zu sein als die Beobachtung einer Episode.

Chief Inspector Parker hat das Glück auch nicht gerade gepachtet. Nach zwei zerbrochenen Ehen wirkt er müde und erscheint so gekleidet zum Dienst, wie ihn keine Frau aus dem Haus lassen würde (Kostüme: Helene Hohensee). Freundschaft hin, Freundschaft her. Der wachsende Verdacht bringt Parker in Höchstform. Nebenbei muss Gumpert in dieser Rolle im Kommissariatsbühnenbild von Manfred Bitterlich mit der Straßenkarte von London im Hintergrund seinen Mitarbeiter Sergeant Hastings im Zaume halten, während der Anwalt seinem Zusammenbruch nahekommt.

Mario Krüger spielt Parkers Nachfolger Hastings, der schon auf den Sessel des kurz vor der Pensionierung befindlichen Chefs scharf ist. Seinen immer zur rechten Zeit von Erfolg gekrönten Ermittlungseifer übertüncht er dabei mit zur Unverschämtheit neigender Lässigkeit.

Die Filmversionen enden tragisch. Regisseur Rumpf schließt das Stück schockartig. Dennoch nicht so stark, wie man es von seinen vielen Inszenierungen kennt. Das ist auch tragisch. Etwas fehlt. Möglicherweise nur ein Satz. Die Gerissenheit des Mörders bloßlegend, der nach der brillant aufgebauten Spannung ebenso verdutzt zurückbleibt wie das Publikum.

Wieder ab 23.3., Berliner Kriminaltheater, Palisadenstr. 48, Friedrichshain, Tel.: (030) 42 80 94 97, www.kriminaltheater.de

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