Moderne Bilderstürmer

Der IS zerstört aus ideologischem Kalkül

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war ein Werk von Barbaren. 60 Altäre und beide Orgeln wurden aus dem Gotteshaus entfernt, teilweise zerhackt, dazu Heiligenstatuen und Bilder der Jungfrau Maria. Um die Instrumente herauszureißen, umwickelten die religiösen Fanatiker die Orgelpfeifen mit Seilen und spannten schweres Gerät vor die Orgel. Die Fundamentalisten begründeten ihren Furor damit, dass der abergläubische Götzendienst, die Anbetung von Bildern, Reliquien und die Musik die Menschen von der wahren Frömmigkeit ablenke.

Das Ereignis trug sich im Jahr 1531 in Ulm zu, während der Zeit der Reformation, und ging in die Annalen der Geschichte als »Ulmer Götzensturm« ein. Die Täter: Protestanten. Rund 200 Jahre später komponierte der Protestant Johann Sebastian Bach Orgelwerke, die Eingang in das kulturelle Gedächtnis der Menschheit gefunden haben; Bach, der »fünfte Evangelist«, gilt heute Katholiken wie Protestanten als Verkünder des Glaubens, seine Musik berührt die Menschen in der Metropolitan Opera in New York genauso wie in den Slums von Nairobi oder Kalkutta - und ganz sicher auch in Irak. Auf den Furor der protestantischen Bilderstürmerei folgte also das Zeitalter der protestantischen Aufklärung. Es waren die Protestanten selbst, die sich irrer wirren Geister entledigten.

Die Videos aus Irak, die zeigen, wie Kämpfer des IS Skulpturen in der antiken Stadt Nimrud zerstören, ähneln den Vorstellungen, die wir Europäer uns heute von der Bilderstürmerei aus unserer Geschichte machen. Der Kulturvandalismus war ja nicht nur auf die Wirren der protestantischen Reformation vor annähernd 500 Jahren beschränkt; in der französischen Revolution gab es ihn ebenso wie im 20. Jahrhundert im Faschismus oder unter Stalin. Stets ging es um eines: mit den alten Artefakten sollte auch die Erinnerung an das Alte verschwinden; an die Stelle der zerstörten Erinnerung wurde das Versprechen auf eine bessere Zukunft gesetzt.

In einem Interview auf Deutschlandradio Kultur vermutete dieser Tage der Berliner Archäologe Reinhard Bernbeck, dass die Zerstörungen in Nordost-Syrien und Nordirak durch den IS gezielt erfolgen, um »einen geschichtlich völlig befreiten Raum zu schaffen, in dem man etwas anderes aufbauen kann«. In Irak würden »regelrechte Rekrutierungsvideos kursieren«, in denen der Akt der Vernichtung des Alten als »etwas Attraktives« dargestellt werde.

Und weil dieses Alte nicht nur das der Menschen in Irak ist, empört uns das Geschehen in Nimrud und den anderen Orten, an denen der IS gegen kulturelle Artefakte wütet. Bernbeck empfindet die Zerstörung Nimruds als »unersetzlichen Verlust«. Und sein Kollege Markus Hilgert, Altorientalist und Direktor der Vorderasiatischen Museums in Berlin, fordert die Politik und seine Kollegen auf, alles zu unternehmen, »um das irakische Kulturerbe zu schützen«. Dies sei nicht nur »unsere moralische Pflicht, sonder geradezu eine Selbstverständlichkeit«, schrieb er vor wenigen Tagen in der FAZ.

Die Rettung oder, wie es Immanuel Kant formulierte, der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, kann nur den Menschen vor Ort selbst gelingen. In Syrien, so vermeldet kürzlich der US-Radiosender »npr«, haben sich Freiwillige zusammengeschlossen, um das kulturelle Erbe des Landes in den Museen vor den Terroristen zu schützen.

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