nd-aktuell.de / 14.03.2015 / Kultur / Seite 10

Es ist alles wahr

Terry Pratchett ist tot

Grit Gernhardt

It is all true - schrieb mir vor 14 Jahren auf der Leipziger Buchmesse ein Engländer mit weißem Bart und schwarzem Filzhut auf die erste Seite eines Buches. Das Buch war einer der über 40 Scheibenweltromane und der Engländer Sir Terence David John Pratchett, der am Donnerstag im Alter von 66 Jahren nach langer Krankheit starb. Er habe sich entschieden, sagte er damals, nicht aus seinem neuen Werk vorzulesen, sondern Geschichten zu erzählen.

Entscheidungen und Erzählungen - das waren die bestimmenden Motive seiner Bücher. Viele davon spielen auf einer flachen Welt, die auf vier Elefanten ruht, die wiederum auf dem Rücken einer Schildkröte stehen und mit ihr durchs All schwimmen. Auf der Scheibenwelt ist alles genauso wie auf unserer Rundwelt, sieht man mal von den Naturgesetzen ab und davon, dass Trolle, Elfen, Vampire und der Tod ganz normale Einwohner mit ganz normalen Problemen sind.

Da muss der achte Sohn eines achten Sohnes eines Zauberers den Zauberstab vererbt bekommen. Dumm nur, wenn dieser Sohn ein Mädchen ist und deshalb kein Zauberer werden darf. Pratchetts Figuren aber haben immer die Wahl, die vorgezeichneten Wege zu verlassen. Eskarina Schmied will Zauberei studieren? Ein wenig »Pschikologie« von Oma Wetterwachs und ein paar Abenteuer in den Katakomben der Unsichtbaren Universität und das Ding ist geritzt. Auch der Bibliothekar hat seine Entscheidung getroffen: Er bleibt lieber ein Orang-Utan, als sich wieder mit der Uni-Bürokratie befassen zu müssen. Das erleichtert die Nahrungsfrage und ermöglicht es ihm, die rund 100 000 verschiedenen Bedeutungen von »Ugh« sprachlich zu verfeinern.

Eine Rolle in jedem Werk reservierte Pratchett stets für den Tod. Ob er ein Kätzchen streichelt, eine Tochter adoptiert oder beschließt, in Pension zu gehen; menschlicher ist der - in Großbuchstaben sprechende - Sensenmann nie beschrieben worden. Auch sein Erfinder fürchtete ihn nicht: Bis 1987 war Pratchett Pressesprecher des Central Electricity Generating Board (CEGB), der ehemaligen britischen Stromaufsichtsbehörde. Wer einmal nachts wegen eines möglichen Störfalles im Atomkraftwerk geweckt worden sei, so Pratchett 2001, den könne nichts mehr erschüttern.

Auch als bei ihm vor sieben Jahren eine frühe und seltene Form von Alzheimer diagnostiziert wurde, zeigte er sich kämpferisch. Er schrieb weiter jährlich zwei Bücher, spendete hunderttausende Pfund an die Alzheimerforschung und setzte sich öffentlich für Sterbehilfe ein. Die nahm er am Ende selbst nicht in Anspruch, seiner Ansicht nach sollte aber jeder frei entscheiden können, ob und wann er dem Tod in die (strahlend blauen) Augen sehen will.

Die alte Debatte darüber, ob man Pratchett im englischen Original lesen muss und ob die Bücher nur etwas für Fantasy-Insider sind (zweimal nein), wird angesichts seines Todes wieder schärfer geführt. Sicher ist, der einzige ernsthaft humoristische Fantasy-Autor der Welt hätte jedem die Entscheidung selbst überlassen.