Am Anfang war der Mut ...

Historischer Rechenschaftsbericht der DDR

  • Ekkehart Krippendorff
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Anfang stand kein lautstarker, wohl eher ein hartnäckiger, stolzer, selbstbewusster Mut zum Neinsagen gegen die menschenrechtlichen Zumutungen des sogenannten real existierenden Sozialismus der DDR. Es folgte der nahezu bruchlos weitergeführte Widerstand gegen den Verrat der Hoffnungen der DDR-Opposition auf ein radikaldemokratisch erneuertes Deutschland, zu dessen Identität das Erbe der west-östlichen Friedensbewegungen gehörte. Ein Erbe, das von politischer Selbstbestimmung und Basisdemokratie in allen gesellschaftlichen Bereichen, von der Perspektive sozialer Gleichheit und aktuell vom kompromisslosen Widerstand gegen neo-nazistische Organisationsformen fremden- und ausländerfeindlicher Umtriebe geprägt ist.

Die Rede ist von einem historischen Rechenschaftsbericht, der unter dem etwas sperrigen aber suggestiven Titel »Alles verändert sich, wenn wir es verändern« bis weit in die Konfliktgeschichte des hoffnungsvollen, aber bald realpolitisch unterdrückten Projektes eines anderen, besseren, wenn auch geteilten sozialistischen Deutschlands zurückreicht und uns heute - nicht zuletzt mit einer rot-rot-grünen Landesregierung aus Thüringen wieder zuruft: »Es gibt uns noch!«

Dieses Projekt nennt sich »Die Offene Arbeit Erfurt«, eine vor allem regional vernetzte vielfältig kommunizierende dezentrale Initiative, die unermüdlich und mit eindrucksvoller Hartnäckigkeit die Flamme anarchistischer Tradition und Zukunftshoffnung am Leben erhält. Herausgegeben wird dieses sorgfältig editierte und dokumentarisch reichhaltige Kollektivprodukt von der »Buchgruppe Offene Arbeit«. Wer diese Dokumentation selbstbestimmter Wachsamkeit als Subtext einer viel zu wenig bekannten deutschen und bundesrepublikanischen Geschichte liest - keine leichte und zunächst eine trockene Berichterstattung, aber mit spannenden Interviews und persönlicher Zeitgeschichte - der sollte dort beginnen, wo normalerweise solche Bücher enden, nämlich mit dem Schlusskapitel »Über die AutorInnen«. 30 MitarbeiterInnen werden dort aufgelistet und ein einmalig faszinierender Querschnitt durch die Biografien der freien politischen Szene geliefert. Da nennt sich einer schlicht »Fliege« und lebt auf einem Wagenplatz, ein anderer heißt »CD Spinne« und ist Punk und Maler in Erfurt.

Tatsächlich aber verbirgt sich hinter den Autorennamen und deren beruflicher Qualifikation eine wichtigere ideologische Herkunft der Aktivisten der Offenen Arbeit: Sie stammen überwiegend aus dem Umfeld der protestantischen und - zu einem eher wohl marginalen Teil - der katholischen Kirche und Theologie. Gerade die protestantische Theologie und die evangelische Kirche standen am Anfang der politischen Oppositionsbewegung der 1950er bis 1970er Jahre und gaben den Aktiven eine sichere moralische Integrität, motivierte ihren Widerstand. Gewissermaßen gingen diese Bewegung, wenn auch nicht bruchlos, so doch ohne inneren Substanzverlust in die friedliche Revolution von 1989 über, bis hin zum öffentlichen Straßenwiderstand gegen Rassismus und nicht zuletzt die Militarisierung der bundesrepublikanischen Außenpolitik.

So darf man, ja sollte man dieses ungewöhnliche Buch einerseits als eine Art Brückendokument für die politisch-ideologische deutsche Nachkriegsgeschichte der gerade von Menschen wie diesen durchgängig beklagten unvollendeten, aber vor 25 Jahren möglichen Revolution lesen, andererseits jedoch auch als Erinnerung daran, dass die republikanisch-demokratische Tradition eine viel zu wenig bewusst gemachte evangelisch-kirchliche Herkunft hat. Zu dieser gehören nicht zuletzt auch die Jugendsubkulturen der Beat-Generation wie auch die »Orientierungsgestalten des kritischen Denkens in der DDR«: Robert Havemann, Stephan Heym, Wolf Biermann, Heiner Müller.

Abgerundet wird dieses historisch-politische Handbuch und Nachschlagewerk durch eine Fülle von Originaltexten, Fotografien und Politgrafiken der letzten Jahre der DDR.

Buchgruppe Offene Arbeit (Hg.): Alles verändert sich, wenn wir es verändern. Die Offene Arbeit Erfurt im Wandel der Zeiten (1979-2014) Verlag Graswurzelrevolution. 242 S., 16,90 €. Buchvorstellung auf der Leipziger Messe mit Bernd Löffler und anderen Aktivisten am Samstag, 14. März, Forum Die Bühne, Halle 5, Gang C, Stand 404, 12 bis 12.30 Uhr.

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