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Wolkig mit ungewissen Aussichten

Die vielfältigen Wolken am Himmel machen den Klimamodellierern nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten. Von Susanne Ehlerding

  • Susanne Ehlerding
  • Lesedauer: 6 Min.

Sie war sehr weiß und ungeheuer oben. Und als ich aufsah, war sie nimmer da.« Still und unerreichbar zieht eine Wolke in Brechts »Erinnerung an die Marie A.« über zwei Liebende hinweg. Das Gedicht ist von 1920. Seitdem hat sich in der Wolkenforschung nicht viel getan. Wolken blieben ungreifbar und unvermessen wie in der Welt der Poesie. Bis jetzt.

Besonders die ganz hohen Zirruswolken wurden in den vergangenen Jahren besser erforscht als je zuvor. Sie bestehen aus Eiskristallen und werden wegen ihrer zarten Fransen auch Federwolken genannt. Wie sie entstehen und wie dicht sie sind, ist wichtig für die Klimaforschung. Denn die Gesamtwirkung von Wolken auf die Atmosphäre ist immer noch ein Rätsel.

Dicke, niedrige Kumuluswolken wirken wie ein Sonnenschirm. Das spürt man sofort, wenn sich eine von ihnen vor die Sonne schiebt. Hohe, dünne Wolken reflektieren wenig Sonnenenergie zurück ins All und nehmen sogar Wärmestrahlung von der Erde auf, um sie später wieder abzugeben. »Je weiter oben Zirren sind und je weniger Schatten sie werfen, desto komplizierter wird das Spiel und die Berechnung des Netto-Effekts auf die Temperatur«, sagt die Wolkenexpertin Martina Krämer vom Forschungszentrum Jülich.

Niemand hat bei Flügen hoch oben in der Atmosphäre so viele Stunden Datenmaterial über die Menge und Größe von Eiskristallen in Zirren zusammengetragen wie sie. »Auf diese Daten haben sich sehr viele Wissenschaftler gestürzt um zu prüfen, ob ihre globalen Computermodelle die gemessenen Eiskristallzahlen widerspiegeln«, sagt Martina Krämer. Ihre Missionen ergaben, dass die Modelle die Eiswolken nicht so gut abbilden, wie sie sollten. »Wolken sind der wesentliche Unsicherheitsfaktor in den Klimaprognosen«, resümiert Krämer.

Zweierlei Schwierigkeiten gibt es, Wolken in einem Klimamodell abzubilden. Zum einen legen Klimamodelle ein dreidimensionales Gitternetz über die Welt und berechnen dann die Vorgänge in jeder einzelnen Zelle. Ihre Maße sind mit dem Wachsen der Computerkapazität immer kleiner geworden. »Heute liegen sie in globalen Klimamodellen typischerweise bei etwa 100 Kilometern Kantenlänge am Äquator. Das ist bereits eine relativ hohe Auflösung«, erklärt Georg Feulner von der Abteilung für Erdsystemanalyse am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. »Die Prozesse in den Wolken wie die Bildung von Wassertröpfchen passieren aber auf einer Skala, die viel, viel kleiner ist«, sagt er.

Außerdem entstehen Wassertropfen und Eiskristalle viel schneller, als die Vorgänge in den Zellen üblicherweise berechnet werden, erklärt der Forscher. Die Klimawissenschaft muss sich also mit einer sogenannten Parametrisierung behelfen. Dabei wird die Bildung von Wolken in einer Modell-Gitterzelle abhängig von Angaben zu Temperatur und Feuchtigkeit beschrieben.

»Das zweite Problem ist, dass Vieles, was sich an Mikroprozessen in den Wolken abspielt bislang experimentell und empirisch nur ungenau bekannt ist«, sagt Georg Feulner. »Dieser Zustand ist noch nicht wirklich befriedigend - auch wenn das nichts an der Gewissheit ändert, dass sich die Erde erwärmt. So ist es heute im globalen Mittel bereits rund ein Grad wärmer und schon jetzt lassen sich Folgen des Klimawandels beobachten.«

Die ungreifbare Natur der Wolken ist jedoch der größte Unsicherheitsfaktor bei der Berechnung, um wie viel Grad genau sich die Erde erwärmen wird. Weitere Unwägbarkeiten sind die Reaktion der Pflanzen auf der Erde und der Algen im Meer auf die Anreicherung von Kohlendioxid und das Steigen der Temperatur. Schwer vorhersagen lässt sich außerdem, wie viel von dem besonders klimaschädlichen Methan die Permafrostböden entlassen werden.

Das führt dazu, dass Klimawissenschaftler sehr vorsichtig bei der Einschätzung der Klimasensitivität sind. Sie gibt an, um wie viel Grad die Temperatur auf der Erde steigt, wenn sich der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre verdoppelt. »Die Klimasensitivität liegt zwischen 1,5 bis 4,5 Grad, der wahrscheinlichste Wert ist etwa 3 Grad«, sagt Georg Feulner. Den Modellen werden sich die Wolken auch weiterhin entziehen, schätzt er. »Es wird wohl nur einen langsamen Fortschritt geben, weil das Problem so komplex ist. Da kann man sich nur Schritt für Schritt herantasten«, glaubt der Wissenschaftler.

Wolken bringen nämlich noch ein weiteres Problem mit: Bisher ist nicht geklärt, wie genau sie entstehen. Zwar ist bekannt, dass Wolken einen Kondensationskeim brauchen, um Tröpfchen zu bilden oder einen Eiskern, um zu gefrieren. Dazu dienen feinste Partikel, sogenannte Aerosole, die in der Luft schweben: Asche von Vulkanausbrüchen, Staub aus den Wüsten, Seesalz oder Pollen. Daher stammt das Gerücht, dass Bäume, indem sie Pollen entlassen, Regen herbeirufen können. »Tatsächlich stimmt das in Einzelfällen«, sagt der Wolkenforscher Frank Stratmann vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung. Nicht die Pollen selbst sind die Eiskeime, sondern noch viel kleinere, einzelne Moleküle, die auf den Pollen sitzen. Bäume könnten also wirklich ihr eigenes Mikroklima machen, sagt Stratmann.

Jedes Aerosol wirkt anders, hat er im Laborturm seines Instituts festgestellt. Nur zwei Millimeter breit, aber neun Meter hoch ist die Röhre, in die die Forscher feuchte Luft mit verschiedenen Aerosolen strömen lassen, um sie dann abzukühlen und ihre Wirkung zu testen. »Es gibt nicht das Aerosol-Partikel - das wäre schön«, schickt Stratmann einen Stoßseufzer gen Himmel.

Wenigstens bei den Zirruswolken schien der Fall einfach. So dachte man bisher, dass sich ihre Eiskristalle einfach durch die Kälte in großen Höhen bilden. Reines Wasser gefriert nämlich erst bei minus 38 Grad. Das ist ein Wert, den Zirren in acht bis zwölf Kilometer Höhe mit Leichtigkeit erreichen.

Martina Krämers Forschungsflüge haben nun gezeigt, dass Wasser auch in Zirren um einen Eiskern herum gefrieren kann, beispielsweise um Ruß und Schwefeldioxid aus der Verbrennung von Kohle und Öl. Der Mensch trägt also mit der Industrialisierung zur Bildung von Eiswolken bei. Auch die Mischphasenwolken, die in der Höhe zwischen Zirren und Kumuluswolken schweben, sind von dem Phänomen betroffen, weil sie aus Wasser und Eis bestehen. »Für die Chemie dieser Eiskeime gibt es wenig Messverfahren. Wir können nicht sagen, woher sie kommen und wie sie gefroren sind. Das geht gerade erst richtig los«, sagt Martina Krämer. Noch schwerer wird so die Berechnung der kühlenden oder wärmenden Wirkung von Wolken.

Hier auf der Erde ereignen sich derweil immer mehr Wolkenbrüche. So prasselte im Juli 2014 innerhalb kurzer Zeit das Vierfache der Monatsmenge auf die Stadt Münster nieder. Von der stündlichen Menge her stellte das Ereignis sogar den Rekordhalter in den Schatten, einen Starkregen, der 2002 auf Zinnwald-Georgenfeld im Erzgebirge niederging. »Die extremsten Niederschläge haben die stärksten Steigerungen«, sagt Paul Becker, Vizepräsident des Deutschen Wetterdienstes. Allerdings entzogen sich auch die Regenwolken bisher einer genauen Beobachtung: »Wir haben ein relativ dichtes Messnetz, aber viele Ereignisse gehen uns durch die Lappen, weil sie sich in einem Stadtteil oder sogar nur in einem Straßenzug ereignen«, sagt Becker. Seit zwölf Jahren arbeiten die Meteorologen mit der besseren Radarmethode. Zu kurz, um das Phänomen wissenschaftlich seriös dem Klimawandel zuzuordnen.

Für Martina Krämer und Frank Stratmann bleiben Wolken weiter faszinierend - aber nicht nur, weil sie wissenschaftlich so herausfordernd sind. »Man kommt in so einen Beruf, weil es einem schon immer Spaß gemacht hat, sich mit Wolken zu beschäftigen. Meine Wolkenfotosammlung wächst ständig«, sagt Martina Krämer. Frank Stratmann empfiehlt, sich bei Gewitter einfach mal auf eine Parkbank setzen und das Wolkenschauspiel zu betrachten. Auch wenn er selbst mit den Augen des Fachmanns auf die Wolken schaut, sind sie für ihn immer noch »ausgesprochen ästhetische Gebilde«. Sehr weiß und ungeheuer oben.

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