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Scheitern als Chance

Bei Backgammon kann Zufall alles vermasseln, doch letztlich gewinnt Köpfchen. Von René Gralla

  • René Gralla
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Name Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus wird heute höchstens Altlateiner aufhorchen lassen. Und der besagte Mann ist auch Andreas Diekmann und seinen Kumpels, die sich jeden Donnerstag ab 19 Uhr im Kölner Café «Kommödchen» treffen, herzlich egal. Obwohl gerade das Hobby, dessen Pflege sich der Freundeskreis in der Domstadt verschrieben hat, vom erwähnten Tiberius Claudius vor knapp 2000 Jahren höchst amtlich geadelt worden ist. Denn jener Kaiser Claudius hatte nicht allein das Römische Reich konsolidiert, sondern auch ein viel beachtetes Standardwerk über das Würfelspiel Tabula publiziert.

Tabula ist dem modernen Backgammon verblüffend ähnlich. Mithin kann sich die Truppe um Andreas Diekmann in einer stolzen Traditionslinie fühlen, wenn sie Backgammon im Wochenrhythmus zockt. Historische Betrachtungen sind für Andreas Diekmann allerdings höchstens eine amüsante Randnotiz. «Der geschichtliche Hintergrund mag interessant sein, aber deswegen spiele ich nicht Backgammon. In jedem Match geht es auf und ab, das bringt deinen Adrenalinspiegel hoch. Ich liebe das.»

Zum Erfolg bei Backgammon gehört eine gehörige Portion Glück. Auf lange Sicht jedoch, ist sich der 50-jährige Heilpraktiker sicher, macht die bessere Planung den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage. «Schauen Sie sich die Schlusstabellen von Turnieren an. Da werden Sie in den oberen Rängen immer wieder dieselben Leute finden.»

Deshalb wohl dominieren auf der internationalen Wettkampfbühne echte Stars. Der 1931 geborene US-Amerikaner Tim Holland holte nach der ersten Backgammon-WM 1967 noch zweimal den Welttitel. Ähnlich wie der 2010 verstorbene Altmeister Holland plädiert der Mathematiker Paul David Magriel dafür, Backgammon ernst zu nehmen und nicht abzutun als eine Art gehobenes Mensch-ärgere-Dich-nicht. Seine persönliche Bilanz gibt dem 68-jährigen New Yorker unbestreitbar Recht: Neben einem WM-Triumph verbuchte er mehr gewonnene Spitzenturniere als jeder andere.

«Wer das tendenziell auch erreichen will, muss sich mit Wahrscheinlichkeitsrechnung gut in der Praxis auskennen», sagt Andreas Diekmann. Das relativiere den Zufall im Backgammon.« Klingt einleuchtend und hat doch etwas von Kaffeesatzleserei. Andererseits gibt es inzwischen Computerprogramme, die eine derart respektable Spielstärke erreichen, dass Profis mit ihnen für den nächsten Wettkampf trainieren. Offenbar kann eine Mischung aus Kalkül und Wagemut am Backgammonbrett weiterhelfen.

Der Rest bleibt freilich Intuition, das hat auch der Stuttgarter Experte und Autor Dan Frank (»Systematisch Backgammon«) gegenüber »nd« eingeräumt: »Sie müssen die Entwicklung einer Partie ahnen: Wie will der Gegner marschieren und wie können Sie seinen Weg blockieren?« Doch die entsprechende Wahrscheinlichkeit, dass ein Plan aufgehe oder nicht, bewege sich oft nur in der Bandbreite 50,2 oder 50,4 Prozent, ein gewisser Optimismus sei deswegen unverzichtbar.

Demnach floppt die beste Strategie, falls die Würfel falsch fallen. Blinder Zufall kann alles vermasseln, ist das nicht unbefriedigend? »Nein«, sagt Andreas Diekmann, »gerade das ist das Schöne, weil zugleich Schreckliche am Backgammon. Zu hundert Prozent kann nichts geplant werden, klar, aber diese Restunsicherheit schafft zugleich neue Möglichkeiten: Plötzlich zeigen sich Wege, an die man vorher nicht gedacht hat.«

Scheitern als Chance. Die mancher sogar als Anleitung zu praktischer Lebensphilosophie begreift. Der Leipziger Maler Norbert Wagenbrett, von Kritikern und Sammlern als Vertreter der »Neuen Sachlichkeit« geschätzt, widmet sich nebenbei intensiv dem Backgammon, aber weniger, um schnöde zu punkten, sondern eher als permanente Selbstbefragung: »Wie gehe ich um mit Rückschlägen und Frust?« Entscheidend sei die »Haltung im Spiel«, versichert der einstige Willi-Sitte-Meisterschüler dem nd-Reporter.

Der gebürtige Ostwestfale Andreas Diekmann hatte Backgammon im Urlaub kennengelernt, das war in Kroatien, »und ich fand es sofort faszinierend, weil das Spiel schnell und spritzig ist«. Ein Umzug nach Köln brachte ihn auf die Idee, Gleichgesinnte zu suchen, und nun tagen die rheinischen Backgammonfans bereits seit 20 Jahren im »Kommödchen«, einer kuscheligen Kneipe, die zu Köln-Nippes passt, Sofas und Kamin garantieren Gemütlichkeit. Von WM-Triumphen träumt hier niemand. »Wir sind einfach Backgammongenießer«, sagt Diekmann. Und führt ein Match zu Meinungsverschiedenheiten, holt einer sein Smartphone raus, fotografiert die Situation, analysiert die Lage zu Hause am Rechner.

Backgammon und seine Freunde in Köln, sie sind wie füreinander geschaffen. Dem einstigen Edelzocker Kaiser Claudius - der übrigens Köln im Jahr 50 unserer Zeitrechnung in den Rang einer Stadt erhob - hätte das bestimmt gefallen.

Backgammon spielen in Köln: Café »Kommödchen«, Merheimer Straße 53, jeder Donnerstag ab 19 Uhr; weitere Infos: www.mycronet.de/bg/

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