Hamburgs Ideen sind besser

DOSB-Vizepräsidentin Petra Tzschoppe über die Entscheidung gegen Berlin im Bewerberrennen um die Spiele 2024

  • Lesedauer: 5 Min.

Es heißt, die Entscheidung war »nicht einstimmig, aber einmütig«. Mancher spricht von einem denkbar knappen 4:3. Stimmt das?

Wir werden uns zur genauen Abgabe der Stimmen nicht äußern. Das haben wir so vereinbart. Was ich sagen kann, ist, dass beide Bewerberstädte überzeugende Konzepte hatten. Wir haben sie sehr ausgiebig beurteilt und bewertet. Am Ende ist ein Votum zugunsten Hamburgs gefällt worden, von dem ich glaube, dass es eine kluge und richtige Entscheidung ist. Ich hätte mir aber auch gut vorstellen können, dass Berlin ins Rennen geht.

Wie haben Sie denn abgestimmt?

Auch dazu äußere ich mich nicht.

Sie stehen selten im Mittelpunkt. Wie fühlte es sich an, eine so wichtige Entscheidung als eine von nur sieben Personen zu treffen?

Wir haben nicht nur zu siebt und aus dem Bauch heraus entschieden. Dem ging ein wochenlanges Auseinandersetzen mit den Bewerbungen voraus. Am Wochenende wurde noch mal die Expertise jedes Spitzenverbandes gehört. Wir haben zudem die Meinung von Akteuren aus verschiedenen gesellschaftlichen Feldern eingeholt. So gesehen habe ich eine fundierte Entscheidung treffen können, die nicht von Stimmungen oder Zufällen geprägt war. Ich kann aber als Mitwirkende der Leipziger Bewerbung um die Spiele 2012 die Enttäuschung, teilweise auch das Unverständnis der Berliner nachvollziehen. Man entwickelt über Monate tolle Ideen und weiß nun, dass sie nicht mehr umzusetzen sein werden.

Angeblich durfte jeder im Präsidium selbst entscheiden, welche Wertigkeit er einzelnen Kriterien einräumt. Was war Ihnen wichtig?

Wir haben uns alle an den öffentlich gemachten zehn Kriterien orientiert: Sportstätten, Infrastruktur und, und, und. Wir hatten aus den Konzepten heraus auch eine Gegenüberstellung bekommen. Da war klar, dass bei Infrastruktur, Beherbergung, Sportstätten, Erfahrung mit Sport beide Bewerberstädte den Anforderungen des IOC genügen würden. Unterschiedlich aufgestellt waren sie vor allem in der grundlegenden Idee hinter der Bewerbung. Während in Berlin - und das kann man auch als Vorzug der Bewerbung ansehen - Bestehendes genutzt werden sollte, es also mehr um Sanierung, Rekonstruktion und die Aufwertung von Sportstätten ging, bot Hamburg ein brachliegendes Gelände, das jetzt für die Stadtentwicklung aufgewertet werden soll. Natürlich ist das spekulativ, aber es war abzuwägen, mit welchem Konzept man glaubt, den Erwartungen des IOC bei der Umsetzung der »Agenda 2020« am nächsten zu kommen.

Hamburgs Idee des Aufpäppelns eines Industriegebiets erinnert an die Spiele in London. Die Stadt will dieses neue Gebiet endlich auch ans Zentrum anbinden. Die für Sotschi oft so gescholtenen Russen wollten endlich ein modernes alpines Skigebiet. Wo ist da die Reform?

Der Vergleich zu London spielte durchaus eine Rolle. Der Gedanke ist, ein für die Stadtkultur kaum genutztes Gebiet mit dem Schwung Olympias aufzuwerten. Die Spiele können unter exzellenten Bedingungen auf engem Raum stattfinden. Mit dem Rückbau einiger Anlagen passen sie sich später organisch in die Stadt ein, um weiter genutzt zu werden. Trotz der Ähnlichkeit zu London wäre Hamburg eine »Agenda City«, da die Stadt und die Ausdehnung der Spiele nicht so gigantisch groß sein würden. Mit etwa 1,7 Millionen Einwohnern ist Hamburg deutlich kleiner als all jene, die sich in den letzten Jahren erfolgreich beworben haben. Der Gedanke an Sotschi, also Dinge zu etablieren, die kein Mensch wirklich braucht, spielte keine Rolle.

Trotz eines völlig anderen Ansatzes glaubten auch die Berliner, perfekt zur Agenda zu passen. Haben die das Reformwerk falsch verstanden, oder ist die Agenda zu schwammig formuliert?

Die Idee, Vorhandenes zu nutzen, ist auch ein wesentlicher Aspekt der Agenda, keine Frage. Aber was im Berliner Konzept vielleicht nicht genug ausformuliert wurde, ist das Leitmotiv, das dahintersteckt. Da hat man das Potenzial der Stadt, was Kultur, Kunst und Wissenschaft angeht, also was den ganzen Reiz von Berlin ausmacht, zu wenig ins Spiel gebracht.

Haben Sie oder andere Ihre Meinung in den zwei Tagen der Diskussionen noch geändert?

Ich - und das trifft in großen Teilen auch für den Rest des Präsidiums zu - bin völlig ergebnisoffen zu dieser Tagung gefahren. Mir war wichtig, wie sich die Sportverbände mit ihrer Expertise positionieren und welche völlig neuen Aspekte wir von den anderen Experten zu bedenken bekommen. All das habe ich in meine Entscheidung einfließen lassen.

Hat Sie das Votum der Sportverbände überrascht? Es hieß vorher, die wären auf Berliner Seite.

In der Tat war diese Erwartung da. Ich glaube, auch die Berliner waren davon ausgegangen. Ich gestehe, dass mich die mehrheitliche Positionierung für Hamburg etwas überraschte. Zusammen mit diversen anderen Expertenäußerungen hat das zum Ausschlagen des Pendels in Richtung Hamburg beigetragen.

Dort werden erst jetzt die Kosten für Infrastrukturmaßnahmen ermittelt. Haben Sie noch Angst vor dem Referendum im Herbst, weil dann klar sein dürfte, wie viele Milliarden Euro noch dazu kommen?

Angst sicherlich nicht. In den Umfragen war ein Trend zu mehr Zustimmung erkennbar. Dass sich solche Stimmungen auch ändern können, hat der DOSB schmerzhaft in München erfahren. Auch da waren im Vorfeld Umfragen positiv und das Ergebnis dann nicht mehr. Respekt vor der Meinung der Bürgerinnen und Bürger hat der DOSB also, und man wird jetzt noch mal alles dafür tun, um auch die Zweifler vom Gesamtnutzen für Hamburg und Deutschland zu überzeugen. Wenn man wirklich umsetzt, was geplant ist, also eine breite Partizipation bei der weiteren Ausgestaltung des Konzepts, dann muss man keine Angst vor dem Votum haben.

Sportsenator Michael Neumann will sich mit dem DOSB über den Termin dieses Referendums unterhalten. Hätte der DOSB gern einen vor dem 15. September, dem Tag der Abgabe einer Interessenbekundung beim IOC? Der so wichtige Host-City-Vertrag und andere Dokumente werden erst danach veröffentlicht.

Darüber gab es noch keine konkrete Diskussion. Die Hamburger haben ein Zeitfenster zwischen September und November genannt.

Der DOSB würde also sein Interesse beim IOC auch ohne vorheriges Referendum bekunden?

Ja.

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