Der Osten wird Federn lassen

Bund und Ländern haben begonnen, ihre finanziellen Beziehungen neu zu ordnen

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 5 Min.
Zwar ist es noch eine Weile hin bis 2019, doch die Debatten über den auslaufenden Solidarpakt gewinnen an Dramatik. Bisherige Kriterien sollen nicht länger gelten, neue sind noch auszuhandeln.

Wenig ist unter den 16 deutschen Ländern so umstritten wie der Länderfinanzausgleich. Denn derzeit gibt es nur vier Einzahler, aber zwölf Empfänger. Und der Streit wird lauter; immerhin wurde mit gut neun Milliarden Euro, die Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg 2014 an die ärmeren Teile der Republik abtreten mussten, 2014 ein neues Rekordvolumen erreicht.

Eine Sonderrolle kommt dabei den fünf Ostländern zu, die erst 1990 zur Bundesrepublik stießen. Sie erhalten zusätzliche Milliarden über den sogenannten Solidarpakt, mit dem sie »teilungsbedingte Sonderlasten« bewältigen müssen. Doch im Gegensatz zum regulären Länderfinanzausgleich schmilzt dieser Obolus beständig ab. Betrug die Gesamtsumme 2005 noch gut 10,5 Milliarden Euro, sind es heute nur noch fünf Milliarden und 2019 knapp 2,1 Milliarden. Danach ist ganz Schluss, zumindest in der bisherigen Form. Mithin schicken sich die 16 Länder derzeit an, ihre Finanzbeziehungen untereinander sowie zum Bund neu zu regeln. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) erwartet dabei jedoch ein »Hauen und Stechen«. Tillich stört sich vor allem an der Westsicht, »dass es den ostdeutschen Ländern schon sehr gut geht und sie keine weitere Hilfe mehr benötigen«.

Dabei strich kaum ein Land mehr Hilfen ein als Sachsen. Allein an Ergänzungszuweisungen, die der Bund einwohnerabhängig zahlt, wenn die Finanzkraft auch nach dem Länderfinanzausgleich noch unter dem Mittelwert der Länder liegt, erhielt es zuletzt jährlich knapp 2,4 Milliarden Euro. Da Sachsen andererseits auch die deutlich niedrigste Pro-Kopf-Verschuldung aller Länder aufweist, attestiert Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) dem Freistaat zumindest eine »hohe Glaubwürdigkeit im Länderkreis«.

Zugleich verheimlicht Schäuble nicht, dass die Steuereinnahmen im Osten weiterhin nur gut die Hälfte des Länderdurchschnitts betragen. Auch die Wirtschaftsleistung pro Kopf erreicht zwischen Rügen und Erzgebirge im Schnitt erst 70 Prozent des Westniveaus. So gesteht der Minister dem Osten denn auch nach 2019 einen »weit überproportionalen Teil des Finanzausgleichs« zu.

Andere Regierungschefs Ost verweisen auf weitere Defizite, auf Nachholbedarf in der Infrastruktur oder Unterschiede im Lohn- und Rentenniveau zwischen West und Ost. Interessanterweise war es Bodo Ramelow (LINKE), der weniger an sein Thüringen als an das chronisch darbende Berlin dachte, als er im Zuge des neuen Länderfinanzausgleichs zunächst einen »besser dotierten Hauptstadtvertrag« anregte. Dabei erhält die Spreemetropole bereits den größten Brocken aus dem Länderfinanzausgleich - über drei Milliarden Euro im Jahr. Einseitig auf Berlin oder den Osten zu zielen, verhehlt indes die ganze Wahrheit. Die elf Altbundesländer verschweigen etwa gern, dass sie im Gegenzug für die Aufnahme des Ostquintetts in den Finanzausgleich fürstlich an den Mehrwertsteuereinnahmen beteiligt werden. Jene jährlich rund 13 Milliarden Euro entsprechen fast jener Summe, die der Bund aus dem Solidaritätszuschlag erzielt. 2014 waren dies rund 15 Milliarden Euro.

Der »Soli« sind jene 5,5 Prozent Sonderabgabe, die seit 1991 alle Deutschen - auch die im Osten - auf ihre Einkommens-, Körperschafts- und Kapitalertragssteuer entrichten. Derzeit wird wieder mal über deren Ende diskutiert, aber offenbar wollen das weder die Länder noch der Bund wirklich. Denn gerade dem spielt der Soli längst deutlich mehr Geld in den Haushalt, als Schäuble in den Osten weiterreicht. Ganz abgesehen davon, dass Helmut Kohl die Erhebung dieses edel klingenden Aufschlags dereinst mit zwei Zwecken begründete: Aufbau Ost und die Finanzierung des Golfkrieges. Bis Ende 1999 hatte er ihn »endgültig weg« haben wollen.

Ungeachtet dessen geht es nun beim Länderfinanzausgleich sowie einem sehr wahrscheinlichen Solidarpakt III ab 2019 wieder um viele Milliarden. Für ärmere wie für reiche Regionen werden auf Jahrzehnte die Weichen neu gestellt. Also wird im Vorfeld an den Schrauben gedreht, um Einfluss auf die Verteilungsschlüssel zu nehmen. Klar dürfte nur sein, eine Bedürftigkeit rein nach Himmelsrichtung gilt nicht mehr. Dazu hat sich der Osten inzwischen auch zu inhomogen entwickelt.

Ökonomen der nationalen Förderbank KfW rieten jüngst dazu, die Zuschüsse vom realen Investitionsrückstand sowie demografischen Tendenzen in den Regionen abhängig zu machen. Würde der investive Bedarf zum Maßstab gemacht, gehörten indes gerade zwei Ostländer zu den Verlierern: Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Sachsen büßte deutlich ein, während Bayern wegen seiner stark ländlichen Prägung gar noch Milliarden drauf gesattelt bekäme.

Auch demografische Aspekte, die bisher noch gar keine Rolle spielten, obwohl Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung stark die Finanzlage der Länder beeinträchtigen, könnten dem Osten eher schaden. Nur Sachsen-Anhalt und Thüringen profitierten im Vergleich zur bisherigen Regelung, während auch die Stadtstaaten und viele westdeutsche Länder leer ausgingen.

Geradezu überraschende Veränderungen brächte ein Neuzuschnitt des Solidarpaktes unter Berücksichtigung der strukturellen Arbeitslosigkeit. Denn dann erhielte Nordrhein-Westfalen, das momentan ganz leer ausgeht, gleich die Hälfte von allem. Alle ostdeutschen Länder büßten dagegen ein - so wie auch bei einer Verteilung der Gelder auf Basis der Wirtschaftskraft. Vor allem Sachsen, aber auch die vier anderen Ostländer sowie Berlin erlitten dann Verluste. Der große Gewinner hieße Niedersachsen.

Unterm Strich raten die KfW-Ökonomen zu einem Bewertungsmix aus all diesen Faktoren, wobei man es drehen und wenden kann, wie man will: Dem Osten geht es nicht mehr so schlecht, dass er nicht bisherige Gelder aus dem Solidarpakt II an westdeutsche Länder abtreten müsste. Lediglich Sachsen-Anhalt käme ungeschoren davon.

Dies alles bereits ahnend, gab denn der Sachse Tillich schnell noch einen Warnschuss in die Verhandlungsrunde: Die Ostländer müssten die »Gelegenheit haben, den eingeschlagenen Weg auch nach 2019 erfolgreich fortzusetzen«. Bringe es doch »keinem was, wenn wir in unserer Entwicklung angehalten und zurückgeworfen werden«, übte er sich tapfer in Zweckpessimismus.

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