Pizzeria zahlt 1,32 Euro pro Stunde

Wie das Jobcenter in Stralsund auf Verstöße gegen das Mindestlohngesetz reagiert

  • Martina Rathke, Stralsund
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Jobcenter greift durch: Im Kreis Vorpommern-Rügen holt sich die Behörde Aufstockleistungen von Arbeitgebern zurück, die offenbar den Mindestlohn umgehen. Es gibt bereits Hunderte Verdachtsfälle.

Das kommunale Jobcenter des Landkreises Vorpommern-Rügen geht in rund 400 Fällen dem Verdacht der Umgehung des Mindestlohnes nach. Über 30 Zahlungsaufforderungen seien bereits verschickt worden, mit denen sich das Jobcenter nun von den entsprechenden Arbeitgebern zu viel gezahlte Leistungen zurückholen wolle, sagte Betriebsleiter Peter Hüfken am Dienstag in Stralsund der dpa.

Einige Arbeitgeber hätten bereits gezahlt, so Hüfken. Werde die Differenz von durchschnittlich 60 bis 100 Euro pro Monat der zu viel gewährten Aufstockungsleistungen auch nach Zahlungsaufforderung nicht ausgeglichen, erwäge das Jobcenter entsprechende Klagen, so Hüfken. Auffällig sind nach Angaben des Jobcenters vor allem der Handel, das Dienstleistungsgewerbe sowie der Hotel- und Gaststättenbereich.

»Unser Ziel ist es, den einen oder anderen Betroffenen aus dem jahrelangen Leistungsbezug zu holen«, begründete Hüfken das Vorgehen. Das kommunale Jobcenter des Kreises Vorpommern-Rügen betreue rund 20 700 erwerbsfähige Hartz IV-Bezieher, von denen rund ein Drittel in Vollzeit oder Nebenjob arbeitet und parallel dazu Leistungen bezieht. Ende Dezember vergangenen Jahres waren beim Jobcenter des Landkreises rund 2500 Menschen registriert, die einen Stundenlohn unterhalb der seit Januar 2015 geltenden Mindestlohngrenze von 8,50 Euro hatten.

Nach der Einführung des Mindestlohnes im Januar 2015 wurden bisher bei 400 von ihnen Auffälligkeiten entdeckt, denen jetzt nachgegangen werde, sagte Hüfken. Dabei werde auch geprüft, ob der Arbeitnehmer in einer Branche tätig ist, in der bis maximal Ende 2016 noch Übergangsfristen gelten. Zu diesen Branchen gehört zum Beispiel das Friseurhandwerk.

In 30 Fällen hab sich der Verdacht der Umgehung des Mindestlohngesetzes aus Sicht des Jobcenters erhärtet, so dass Zahlungsaufforderungen verschickt wurden. Eine endgültige Bilanz könne voraussichtlich erst im Sommer gezogen werden, sagte Hüfken.

Das Jobcenter im Landkreis Vorpommern-Rügen war in den vergangenen Jahren erfolgreich vor Gericht gezogen, um gegen Arbeitgeber vorzugehen, die sittenwidrige Löhne gezahlt hatten. So hatte ein Betreiber einer Pizzeria in Stralsund seinen fünf Mitarbeitern einen Stundenlohn von 1,32 Euro gezahlt. »Seit 2008 haben wir in Stralsund und seit dem Januar 2013 im gesamten Kreis Vorpommern-Rügen für rund 240 Arbeitnehmer fast 350 000 Euro gerichtlich und außergerichtlich bei Dumpinglöhnen geltend gemacht«, sagte Hüfken. Als Grund für das konsequente Vorgehen nennt Hüfken die Verantwortung der Behörde im Umgang mit Steuergeldern.

Viele Unternehmen auf der Insel Rügen hadern mit dem Mindestlohn. Nach einer vor einer Woche vorgestellten IHK-Umfrage stellt der Stundenlohn von 8,50 Euro für ein Viertel der Firmen eine große Belastung dar. 72 Prozent der rund 500 antwortenden Betriebe hätten Nachbesserungen bei der Dokumentationspflicht gefordert. Knapp 43 Prozent der Unternehmen, die bislang gering qualifizierte Mitarbeiter beschäftigten, planten Stellen abzubauen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, die als CDU-Bundestagsabgeordnete zur IHK-Veranstaltung eingeladen war, hatte bekräftigt, dass es eine Abschaffung des Mindestlohnes nicht geben werde. Sie zeigte sich erstaunt über die vielen Schwierigkeiten mit der Arbeitszeiten-Erfassung. Merkel hatte Nachbesserungen in Aussicht gestellt. dpa/nd

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