Montenegro in der Schusslinie

Der Schriftsteller Andrej Nikolaidis sieht sein Land lieber als westliche denn als russische Kolonie

  • Lesedauer: 3 Min.

Seine Einladung in die NATO hat Montenegro noch nicht bekommen. Im September soll laut Medienberichten der Grund gewesen sein, dass die montenegrinischen Geheimdienste voller russischer Spione seien. Ist da was dran?

Mittlerweile wurde von westlichen Ämtern verbreitet, dass dieses Problem gelöst wurde. Sogar die deutsche Botschafterin spendete viel Lob für die Leistungen Montenegros. Bisher übten die deutsche Repräsentanten die heftigste Kritik an montenegrinischen Behörden. Im US-Senat wurde unlängst in einer Diskussion, an der auch Außenminister John Kerry teilnahm, Montenegro als ein Land bezeichnet, gegen das Russland eine spezielle Form des Krieges führe und darauf sehr starken Druck ausübe. Das Land befindet sich im russisch-amerikanischen Konflikt in der Schusslinie. Der Wunsch lautet, dass Montenegro so bald wie möglich der NATO beitritt. Es ist ein kleines Land, aber auch der letzte Teil der europäischen Mittelmeerküste, der noch nicht zur NATO gehört.

Montenegro hat sich den Sanktionen gegen Russland angeschlossen und Kosovo anerkannt. Die Mehrheit der Bevölkerung wird dagegen sein. Wie groß ist der Einfluss von Staaten des Westens?

Kein Balkanstaat kann eine unabhängige Politik führen. Montenegro hat 600 000 Einwohner, Wirtschaft sowie Demokratie sind schwach und das Land ist traditionell prorussisch.

Das Projekt der Europäischen Union ist unter anderem auch ein imperiales. Die Länder an der Peripherie sollen gehorsam sein - und Montenegro ist gehorsam. Dennoch ist das besser, als einen Krieg gegen den Westen zu führen, wie in den Zeiten Miloševićs. Wenn es nach den Bürgern gegangen wäre, hätten sie sich im Jahre 1999 absolut demokratisch sicher dafür entschieden, dass wir gegen die NATO bis zum letzten Mann kämpfen. Wenn es nach den Bürgern ginge, würden heute Homosexuelle auf der Straße verprügelt. Deshalb waren Kosovo-Anerkennung und Russland-Sanktionen wichtige und gute Entscheidungen.

Wie ist es möglich, dass Milo Đukanović und seine Demokratische Partei der Sozialisten trotz aller Korruptionsvorwürfe seit 1991 kontinuierlich das Land regieren?

Die DPS ist eine sehr gut organisierte Partei mit einer Armee von Aktivisten. Es gibt auch Dinge, die im Westen nicht möglich wären, auf dem Balkan aber schon. Die internationalen Wahlbeobachter bezeichneten alle bisherigen Wahlen als »frei und demokratisch«. Was heißt das? Dass die Art und Weise, wie Đukanović regiert, für den Westen nicht inakzeptabel ist. Im Gegenteil. In dieser Zeit des neuen Kalten Krieges möchte der Westen in der Hauptstadt Podgorica eine pro-russische Opposition an der Macht verhindern. Đukanović war ein zuverlässiger Partner des Westens. Der Konflikt mit Milošević war schwierig. Der Konflikt mit Russland ist nicht einfacher oder weniger riskant. Die Opposition ist gegen die NATO, und damit hilft sie Đukanović an der Macht zu bleiben. Er figuriert als Garant westlicher Interessen.

Die montenegrinische Opposition beschäftigt sich noch immer mit großserbischen Mythen und leugnet die Eigenständigkeit Montenegros?

Der Großteil der Opposition ist einfach zivilisatorisch nicht akzeptabel. Es geht um politische Organisationen, die bis heute nicht zugeben wollen, dass ihre Politik zum Völkermord in Srebrenica beitrug. Sollte ich glauben, dass sie aus Montenegro einen Rechtsstaat machen werden und linke Wirtschaftspolitik durchsetzen? Wenn die Opposition heute siegen würde, fiele das Land unter den stahlharten Einfluss Russlands zurück und könnte noch lange kein unabhängiger Staat werden.

Sind Sie noch immer der Meinung, dass Montenegro außerhalb der EU und der NATO nicht bestehen kann?

Wenn wir schon eine Kolonie sein müssen, dann lieber eine westliche als eine russische. Ich habe in der Zeit Miloševićs eine große Menge chauvinistischer und prorussischer Politik gesehen und möchte das nie wieder erleben. Deshalb ist eine prowestliche Politik bei uns ein Gegenmittel. Erst die Fertigstellung der euroatlantischen Integrationen kann den Raum für einen Regierungswechsel und eine funktionierende Demokratie schaffen.

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