Werbung

Der Sensor, der aus dem Osten kam

Von Reinhard Renneberg , Hongkong, und Reinhard Nießner, München

  • Reinhard Renneberg
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Wert, mit dem man seit mehr als 100 Jahren die Qualität von Abwasser misst, heißt BSB5 - weil er den Sauerstoffbedarf beim Schmutzabbau über fünf Tage angibt. Doch schon 1978 fragte sich der Ostberliner Mikrobiologe Klaus Riedel, ob man den Wert nicht auch in 5 Minuten messen könnte.

Riedel nahm den von Leland Clark jr. in den USA erfundenen Sauerstoffsensor und fixierte Abwassermikroben auf dessen Oberfläche. Eingeschlossen in polymere Gele lebten sie weiter. Der Sensor maß nun direkt die Atmung der Winzlinge. Tauchte man den Biosensor in sauberes Wasser ein, geschah - nichts. Die Mikroben hatten nichts zu futtern, brauchten also auch keinen Sauerstoff. Enthielt das Wasser verwertbare Nährstoffe, dann wurden die Mikroben munter, verputzten das im Wasser gelöste »Futter«. Der verbrauchte Sauerstoff wurde angezeigt: je mehr Futter, desto größer der Sauerstoffverbrauch! Und die verstärkte Atmung sah man schon nach fünf Minuten. Ein Problem waren jedoch die verwendeten Mikroben. Hunderte verschiedene Arten tummeln sich im Belebtschlamm. Mit dieser bunten Mischung kann man keinen Standard-Biosensor produzieren.

Als Biochemie-Student in Moskau fuhr Biokolumnist RR von 1970 bis 1975 zur Erntehilfe auf Kolchosen, wo es stets an Eiweißfutter für Nutztiere mangelte. Die erfinderischen Russen kamen darauf, das Holz der riesigen Wälder in Futtereiweiß zu verwandeln. Dazu wurde die Zellulose in Zuckerbausteine gespaltet und der »Taiga-Zucker« an Hefen verfüttert. Die Sowjet-Mikrobenjäger zogen begeistert los und fanden Dutzende Hefestämme. Alle versagten aber, wenn - wie bei der üblichen Zellulosespaltung mit Säure - mit dem Zucker auch Salz entsteht. Die ersehnte Wunder-Hefe musste Salz-Sirup vertragen, also halophil sein. Die Hefe Arxula gedieh prächtig auf Salz-Sirup.

Riedel und sein Team griffen auf diese Hefe zurück. Sie stabilisierten Arxula mit Polymeren und konnten die Winzlinge so immer wieder benutzen. Mit einem Berliner Biosensor konnte einen Monat lang exakt der BSB von Wasserproben in 5 Minuten bestimmt werden.

20 Jahre nach der Wende ruft Wasser-Guru Reinhard Nießner von der TU München bei RR in Hongkong an: »Wir brauchen 2,5 Millionen BSB-Biosensoren allein für deutsche Klein-Kläranlagen! Gibt es Euren Biosensor noch? Ihr wart der Zeit einfach mal 30 Jahre voraus!«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal