»Ein neuer Sozialvertrag ist nötig«

Professor Bruce Ackerman von der US-Eliteuniversität Yale sieht großen Reformbedarf nicht nur für die USA

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Prof. Bruce Ackerman, Begründer des Konzepts der Teilhabegesellschaft (Stakeholder Society) sprach im Rahmen eines Studienaufenthalts in Deutschland in der Bundeszentrale für Politische Bildung in Berlin zum Thema »Gibt es eine fortschrittliche Zukunft für die USA?«. Er erntete, naheliegend, kontroverse Reaktionen.

Ihre Regierung feiert die USA als »die älteste durchgängig intakte Demokratie der Welt«. Was ist der Hauptgrund für Ihre Zweifel an dieser Selbstbeschreibung?

Die seit langem beispiellose Zunahme wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit im Land. Die Spaltung betrifft jeden und muss jeden besorgen. Der Aufstieg der Plutokratie ist eine große Herausforderung und Bedrohung.

Handelt es sich um neue Qualität oder die Beschleunigung eines alten Trends?

Gemessen daran, dass die Herrschaft des Geldes heute so stark wie seit Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr zugenommen hat, kann man von neuer Qualität sprechen. Das bedeutet nicht, dass sich die Lage durchweg verschlechtert hätte, wenn ich an gewachsenen Lebensstandard oder Fortschritte im Bildungswesen denke. 1939 betrug die durchschnittliche Dauer der Schulausbildung für weiße Amerikaner acht, für schwarze vier Jahre. Heute beträgt sie für Weiße im Schnitt 14,2 und für schwarze Amerikaner 13,1 Jahre. Das ist eine meiner Hoffnungsquellen für die Zukunft - dass die Menschen besser ausgebildet werden.

Was halten Sie für die drei größten Hürden, die einer gerechteren und weniger Geld getriebenen USA im Weg stehen?

Zum einen die Geiselnahme der Politik durch Minderheiten. Die Unternehmerbrüder Charles und David Koch wollen fast eine Milliarde Dollar ausgeben, um die Präsidentschaftswahl 2016 zu beeinflussen. Das entspricht etwa den Ausgaben, die Demokraten und Republikaner zusammen planen. Zweitens die Beherrschung der Politik durch Medienmanipulatoren und Schlagworte im 30-Sekunden-Takt. Drittens, wie erwähnt, das wirtschaftliche Auseinanderdriften der Gesellschaft in einem Maße, das den Zusammenhalt der Nation gefährdet.

Sie bemühen sich seit Langem darum, Alternativen zu entwickeln. Was ist, kurz gesagt nötig, um eine fortschrittliche Tagesordnung für die USA einzurichten?

Mein Ziel ist, die Politik zu demokratisieren und gleichberechtigte ökonomische Chancen zu organisieren.

Auch wenn wir’s hier nicht ausführlich behandeln können: Worum geht es im Kern bei Ihrem Konzept der Teilhabegesellschaft, wie kann es angewendet werden und: Welches Echo findet es bei Politik und Wirtschaft in den USA und anderswo?

Die Grundidee: Mit Erreichen der Volljährigkeit soll jeder, bedingungslos, Kapital bekommen, um möglichst gleiche Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben als ökonomischer Teilhaber (stakeholder) zu erhalten. Die Idee geht auf Thomas Paine und ein Schlüsselanliegen der Französischen Revolution zurück. Wir haben dafür 80 000 Dollar ins Auge gefasst, die auf einmal oder über mehrere Jahre verteilt in Raten gezahlt und von jährlichen Einkommen über eineinhalb Millionen Dollar finanziert werden könnten.

Klingt zu schön, um wahr zu sein.

Ein neuer Sozialvertrag ist nötig, nicht nur in den USA. Ich streite nicht um die 80 000 Dollar, ich kämpfe um ein Prinzip neuer Gerechtigkeit.

Wir haben damit auch schon praktische Resonanz gefunden: Tony Blair hatte als Premier andere Vorstellungen von der Höhe der Summe, aber er akzeptierte die Idee und ließ sie in Großbritannien Gesetz werden. Von ihm profitieren Bürger, die zwischen 2003 und 2011 geboren wurden. David Cameron, heute Regierungschef, hat es leider aufgehoben. Ségolène Royal, Präsidentschaftskandidatin der französischen Sozialisten 2007, und Hillary Clinton 2008 haben die Idee ebenfalls in ihr Wahlprogramm aufgenommen, unterlagen aber.

Präsident Obama hatte kein Interesse?

Er gab ihm keine Priorität, sondern konzentrierte sich auf das Großprojekt Gesundheitsreform.

Wie fällt Ihr Urteil über seine Amtszeit aus?

Er hat manches bewegt, was nicht geringzuschätzen ist, aber an großen Errungenschaften gibt es nur eine, die Gesundheitsreform.

Ist Obama der schwache Präsident, als der er oft beschrieben wird, oder ist er nur intelligent genug, die veränderte Position der USA zu erkennen, geprägt von schwindendem Einfluss und Aufstieg neuer Akteure?

Der Niedergang der USA wird stark übertrieben. Sie stehen wirtschaftlich heute besser als Europa da, ihr Wachstum ist größer, ihre Spitzenuniversitäten sind Weltspitze, und Gleiches gilt für die Internettechnologien.

Progressive Tagesordnungen benötigen progressive Persönlichkeiten. Sehen Sie jemanden mit Blick auf die Präsidentschaftswahl?

Die Demokraten-Senatorin Elizabeth Warren aus Massachusetts. Sie hat allerdings nur eine Chance, sollte Clinton nicht antreten, was nicht anzunehmen ist.

Wird Obama am Ende tödliche Waffen in die Ukraine liefern?

Ich bin seit Herbst in Berlin und kann das von hier nicht gut genug beurteilen.

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