nd-aktuell.de / 30.03.2015 / Berlin / Seite 11

Grundstein als Aufbruchzeichen

In Kreuzberg sollen Pflegeheimplätze für chronisch Kranke entstehen

Josephine Schulz
Menschen mit HIV, Aids und Hepatitis C haben es schwer, einen Platz im Pflegeheim zu finden. Vorurteile gibt es immer noch. In Kreuzberg entstehen jetzt Appartements für chronisch Kranke.

Bestimmte Gruppen lassen sich in das bestehende System von Pflegeheimen kaum eingliedern. Sie brauchen alternative Konzepte. Menschen mit HIV, Aids und Hepatitis C zum Beispiel. Der Berliner Träger ZIK (Zuhause im Kiez) und das Pflegeteam Felix bieten eine Alternative für diese Menschen. In den Häusern der ZIK leben sie in Einzel- oder Gruppenapartments und bekommen dort individuelle Betreuung.

Am Freitag wurde in der Reichenberger Straße 131 in Berlin Kreuzberg der Grundstein für ein neues Haus des Trägers gelegt. Hier sollen weitere Apartments für Menschen mit chronischen Krankheiten entstehen. »Damit schließt sich in Berlin eine Versorgungslücke«, meint Staatssekretär Dirk Gerstle. Eine Grundsteinlegung sei immer ein Symbol, dass etwas voranginge. Optimistische Worte. Wahr ist, dass ZIK immer größer wird. Neun Standorte hat der Träger in Berlin, in etwas mehr als einem Jahr soll das Haus in der Reichenberger Straße bezugsbereit sein.

Aber auch der Bedarf bleibt unverändert hoch. Oft sind es junge Menschen, die in klassischen Pflegeheimen unter Menschen über 65 fehl am Platze wären. Die Palette der Probleme bei den Erkrankten ist breit: Depressionen, Drogensucht, Nebenwirkungen der chronischen Krankheit. Treten sie gebündelt auf, führt das oft zu Problemen im Job oder mit Ämtern, bis hin zur drohenden Obdachlosigkeit. Viele von ihnen sind alleine, haben sich von der Gesellschaft abgekapselt. Denn noch immer ist der Umgang mit HIV von Unwissenheit und Vorurteilen geprägt. »Die Menschen haben Angst sich anzustecken, schon im normalen Umgang, selbst mit unseren Mitarbeitern«, sagt Bettina Hendrischke vom Felix Pflegeteam. »Viele denken: Ich bin nicht homosexuell, ich nehme keine Drogen, ich habe damit nichts zu tun«. Soziale Exklusion, Depressionen, nicht selten Selbstmordgedanken sind die Folge bei den Betroffenen.

Auch Marion Bleß aus dem Vorstand der Deutschen Klassenlotterie, die das Bauvorhaben mit 2,7 Millionen Euro fördert, mahnt, die Präventions- und Aufklärungsarbeit beim Thema HIV nicht zu vernachlässigen. »HIV und Aids sind weitgehend aus den Medien verschwunden. Das liegt auch an den medizinischen Neuerungen und der gesteigerten Lebenserwartung«. Trotzdem dürfe die Aufmerksamkeit nicht nachlassen.

In den Häusern von ZIK bekommen die Menschen ein Stück soziales Umfeld zurück. In verschiedenen Projekten können sie kochen, gärtnern, handwerkeln. Der Betreuungsbedarf ist so unterschiedlich wie die einzelnen Schicksale. Es gibt den verheirateten Mittvierziger mit Kindern, genauso wie den Anfang 20-jährigen Drogenabhängigen. Einige bekommen nur alle zwei Wochen Unterstützung im Haushalt, andere benötigen Rundumbetreuung. »Hinter dieser individuellen Behandlung verbirgt sich mehr Lebensqualität«, sagt Bleß.

Lebensqualität ja, heile Welt eher nicht. »Mit HIV kann man heutzutage sehr lange leben«, so Hendrischke, »aber dazu braucht man auch eine gesunde Lebensführung«. Bei vielen ZIK-Bewohnern ist das nicht der Fall. Die Suchtkranken konsumieren in der Regel weiterhin Drogen. Nebenerkrankungen wie Infektionen und Durchblutungsstörungen sorgen für einen schlechten körperlichen Zustand. »Bei uns wird viel gestorben«, meint der ehemalige ZIK-Geschäftsführer Christian Thomes. »Auch darum geht es, um würdevolle Begleitung und Raum fürs Trauern, auch dafür wird das neue Haus da sein«.

34 Apartments sollen in der Reichenberger Straße entstehen. Ob die Versorgungslücke damit tatsächlich geschlossen wird, ist fraglich. Thomes wünscht sich viel mehr Wohnungen für seine Klienten. Er möchte ein integratives Konzept, gemischte Häuser, sodass die Pflegebedürftigen in einem normalen Umfeld leben können. Dazu aber braucht es einen grundlegenden Wandel in der Berliner Wohnungspolitik. Denn auf dem freien Markt haben die Pflegebedürftigen kaum eine Chance. Miethöhe, Schufa-Einträge - all das lässt sie als eigenständige Mieter von vornherein ausscheiden.