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Athen zahlt zurück, aber Europa »hilft« nicht

Wieder einmal wird es eng für Griechenland. Die Schuld gibt man SYRIZA. Aber es gibt noch eine andere Geschichte zu erzählen

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.
Griechenland hat seit August 2014 keine Kreditraten mehr erhalten - aber stets seine Schulden pünktlich zurückgezahlt. Nun wird es eng für Athen. Die Schuld dafür gibt man der SYRIZA-Regierung.

Wie die Nachrichtenlage formatiert wird, konnte man an diesem Wochenende einmal mehr beobachten: Die Polit-Illustrierte »Spiegel« veröffentlicht ihre Vorabmeldungen jetzt schon am Samstag: »Griechenlands Reformblockade reißt neues Milliardenloch«, meldete das Magazin. Mehr noch: »Der Reformstopp in Griechenland seit der Amtsübernahme von Ministerpräsident Alexis Tsipras verschärft die Finanzsituation des Landes.« Man soll es so verstehen: An der prekären Lage ist Athen selbst Schuld. Vor allem die SYRIZA-geführte Koalition.

Wahr ist: Die neue Regierung ist gerade einmal seit zwei Monaten im Amt. Ihr wird von europäischer Seite jeglicher eigener Spielraum verwehrt. Zudem drehte sich zunächst alles um die Verlängerung eines Kreditprogramms, dessen Bedingungen Athen erfüllen soll - obwohl die Menschen aus Protest gegen diese Bedingungen eine neue Regierung gewählt haben. Die muss immer neue Quellen suchen, um kurzfristig Finanzlöcher zu stopfen, weil ihr der Zugang zum Finanzmarkt verwehrt ist. Und der »Reformstopp«, den der »Spiegel« behauptet, wird wenn überhaupt dann doch eher von den Gläubiger-Vertretern verursacht, die alle finanzwirksamen Maßnahmen der SYRIZA-geführten Regierung unter eine Art Zustimmungsvorbehalt gestellt haben.

Aber waren da nicht milliardenschwere »Hilfspakete«? Das ist so richtig, wie nur ein näherer Blick das ganze Bild erkennen lässt. Einerseits ist der überwiegende Teil des an Griechenland nur ausgeliehenen Geldes in die Bedienung von Schulden, die Rettung von Banken und überhaupt in den Finanzsektor geflossen. Für öffentliche Investitionen, die tatsächlich die Wirtschaft wieder in Gang bringen oder für soziale Maßnahmen aufgewendet werden könnten, blieb nicht viel übrig.

Andererseits hat auch die SYRIZA-geführte Regierung alle fälligen Schulden stets pünktlich und vollständig zurückgezahlt. Am 20. März flossen 348,5 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds zurück. Zuvor waren allein in diesem Monat in zwei Tranchen insgesamt rund 650 Millionen Euro an den IWF zurückgezahlt worden. Zur Bedienung der eigenen Schulden habe man keine neuen Kredite aufgenommen, sondern finanziere diese derzeit ausschließlich aus kurzfristigen Anleihen beziehungsweise aus den Reserven der öffentlichen Institutionen und der Sozialkassen. Aus dem laufenden Kreditprogramm der Gläubiger floss hingegen seit August 2014 kein Geld mehr nach Griechenland.

Die Schlagzeilen des Wochenendes folgten lieber der Polit-Illustrierten »Spiegel«. Die Deutsche Presse-Agentur titelte: »Athens Reformstopp reißt neues Milliardenloch.« Und ähnlich las man es dann bald auch überall im Internet.

Dabei wäre auch eine andere Geschichte zu erzählen gewesen: Die SYRIZA-geführte Regierung warnt seit längerem, aus eigener Kraft die fälligen Rückzahlungen seiner Schulden nicht mehr stemmen zu können, wenn die internationalen Gläubiger die ausstehenden Raten aus dem laufenden Kreditprogramm nicht auszahlten.

Im Kreditprogramm der Euro-Länder stehen noch 1,8 Milliarden zur Verfügung. Zudem kann Athen mit 1,9 Milliarden Euro aus Zinsgewinnen der EZB mit griechischen Staatsanleihen rechnen - wenn die Gläubiger grünes Licht geben. Rund 3,5 Milliarden Euro könnte die SYRIZA-geführte Regierung im Rahmen des laufenden Kreditprogramms noch vom IWF erhalten.

Laut dem Kompromiss mit der Eurogruppe vom 20. Februar sind die Auszahlungen aber daran gekoppelt, dass Athen Maßnahmen umsetzt, über die die dortige Regierung nicht vollständig selbst frei entscheiden kann. Wörtlich heißt es: »Jedwede Auszahlung der ausstehenden Tranchen ... ist nur möglich, wenn die Institutionen dem Abschluss der Überprüfung der verlängerten Vereinbarung zustimmen.« Das soll »bis Ende April« geschehen. Dann könnte es zu spät sein.

Der Charakter der »Hilfspakete« kommt hier zum Ausdruck: Finanzielle Unterstützung wird nicht nur an die übliche Rückzahlungsverpflichtung gebunden (die Griechenland bisher stets erfüllt hat), sondern auch an die Umsetzung politischer Maßnahmen, über die es zwischen Athen, Berlin und Brüssel aber unterschiedliche Auffassungen gibt. Die griechische Regierung pocht dabei auf Reformen, die einer sozialen Grundarchitektur nicht widersprechen. Dass dies in Brüssel teils anders gesehen wird, machten zuletzt mehrfach Einmischungsversuche sichtbar.

Man habe daher jetzt noch einmal »auf allen Ebenen der Eurozone und auch dem IWF« klargemacht, dass die Regierung in Athen die »Schulden nicht mehr ausschließlich aus eigenen Quellen werde zahlen können«, hieß es am Freitag aus dem Umfeld des Ministerpräsidenten - woraus Medien machten: Alexis »Tsipras droht mit Einstellung des Schuldendienstes«. Dass die europäische Seite mit ihrer Einstellung des »Kreditdienstes« seit Monaten die Probleme selbst mit am Laufen hält, weil Athen erst den Weg in eine Politik einschlagen soll, die man in Berlin und Brüssel für die richtige hält, liest man dort nicht.

Schon am Mittwoch hatte der griechische Vize-Premier Giannis Dragasakis gesagt, es werde »ein Problem geben, wenn nicht gesichert wird, dass alle Institutionen ihre Rolle spielen«. Was damit gemeint ist, hatte Premier Tsipras bereits am 15. März in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel klargestellt: Es sei bei der Eurogruppe und der EZB »zu einer Reihe von Entwicklungen« gekommen, die den Geist der Vereinbarung vom 20. Februar untergräbt und die Erfüllung der darin festgelegten Punkte »gefährlich erschweren« könne.

Tsipras wies hier unter anderem auf Maßnahmen der Europäischen Zentralbank, die Griechenland in seinem Spielraum einschränkten. Noch nach Eingang von Tsipras‘ Brief in Berlin verstärkte die EZB sogar den Druck. Die Vorgängerregierung in Athen konnte seinerzeit auf mehr Entgegenkommen setzen, auch daran erinnert Tsipras Merkel in dem Brief. Der Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten, welche im Gegensatz zur SYRIZA-geführten Regierung den Troika-Kurs im Wesentlichen akzeptiert hatte, wurde 2012 in einer ähnlich prekären Situation mehr Spielraum gewährt und die Banken nicht mit vergleichbaren Restriktionen belegt. Selbst die »Welt« schrieb über den Brief: »Tatsächlich lässt sich nicht leugnen, dass die EZB diesmal eine strengere Linie zu fahren scheint als bei früheren Eskalationen der Griechenland-Krise.«

Noch einen anderen Punkt spricht Tsipras in dem Brief an, der ein ganz anderes Licht auf die Frage wirft, wer denn nun die Einigung über die Auszahlung der offenen Kreditraten verzögert: Der geringe Fortschritt, der in den Verhandlungen mit den Vertretern der Gläubiger-Institutionen erzielt wurde, sei darauf zurückzuführen, dass deren »technische Teams genauso wie einige Akteure der höheren Etagen« nicht dem Geist der Einigung der Eurogruppe vom 20. Februar Beachtung schenkten - und stattdessen weiter auf der Linie des »Memorandums« geblieben seien.

Für Athen ist der Kompromiss vom Februar der erste Schritt weg von den alten Verpflichtungen, deren fatale soziale und ökonomische Auswirkungen inzwischen weitgehend anerkannt sind. Wenn nun aber Teile der Institutionen auf genau diesem alten Modell bestehen, ist es für Tsipras »schwer zu glauben, dass unsere Partner davon ausgehen, dass ein erfolgreicher Schwung für Reformen unter solch restriktiven und bedrängenden Bedingungen entfaltet werden kann«, so der griechische Premier in dem Brief.

Tsipras hatte schon Mitte März gewarnt, dass die Fortsetzung des harten Kurses es jeder Regierung unmöglich machen würde, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Sein Schreiben an die deutsche Kanzlerin beendete der griechische Premier mit den Worten: »Ich bitte Sie dringend nicht zuzulassen, dass ein kleiner Engpass an flüssigen Mitteln und gewisse ›institutionelle Trägheit‹ zu einem großen Problem für Griechenland und für Europa werden.«

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