Der Menschenmaler

Wäre am 31. März 90 geworden: Bernhard Heisig

  • Kerstin Decker
  • Lesedauer: 6 Min.

Im Frühjahr 1998 belebte sich der Verkehr auf den alten Alleenstraßen hinter Neustadt Dosse, wo die Bäume ganz oben mit ein paar Nadelstichen Sonne zusammengeheftet sind. Mein Gott, ist das schön!, mögen sich auch die Journalisten der »Liberation« oder des »Corriere della Sera« gesagt haben. Sie wollten in ein kleinstmögliches Dorf im Havelland, in dem, so hatten sie gehört, ein größtmöglicher Maler lebte. Der Goya von Strodehne, schrieb die »Bild«-Zeitung. Leider ein unmöglicher Maler, untragbar für die neue Zeit. Kein Heisig-Bild gehöre in den neuen Reichstag, forderten Freya Klier, Lutz Rathenow, Ralph Giordano und anderen prominente Nicht-Maler. Diesen Dämon wollte sich die journalistische Internationale doch einmal näher ansehen. Und Mitglied der Waffen-SS sollte er auch gewesen sein. Strohdehne ist ein guter Ort, um die Dummheit der Zeit zu überstehen, befand Bernhard Heisig Anfang der Neunziger Jahre. 1989 war er aus der SED ausgetreten und gab alle Nationalpreise zurück. 1991 verließ er die Akademie der Künste und 1992 bezog er mit der Malerin Gudrun Brüne dieses Refugium am gefühlten Ende der Welt, wo er 2011 auch verstarb. Jeder Künstler bewohnt zuletzt sein eigenes Universum, das seiner Werke

Dass das Ende der DDR mit dem Ende der Dummheit zusammenfallen würde, hat Heisig ohnehin nie geglaubt. Denn dieser Maler besaß ein durchaus düsteres, sehr defätistisches Geschichtsbild. Wer Heisigs Bilder gesehen hat, einmal wirklich gesehen, wusste das schon immer. Wer sagt denn, dass der Expressionismus vorbei ist? Er, Bernhard Heisig lebte, also lebte der Expressionismus. Seine Bilder sind Furien, gebändigte Schreie, Wirklichkeitsexplosionen in allen Farben; er weckte schon früh den Argwohn der Funktionäre. Da war etwa diese »Pariser Commune« von 1965. Sehen so die französischen Vorkämpfer des siegreichen Proletariats aus?, fragte die Partei und ihr befremdeter Blick meinte »animalisch-triebhafte Zuckungen« erkennen zu müssen, verschlimmert durch einen deutlichen Zug »ins Amorphe, ins Destruktive, ins Morbide«. War diese »Commune« nicht die Darstellung »einer heroischen Sinnlosigkeit«? Und die Partei wusste auch bald, woran das lag. Dieser Maler hatte in ganz und unzulässiger Weise die »Commune« mit seinen persönlichen Kriegserlebnissen vermischt.

Die Nachwende-Urteile waren fast gleich, nur aus anderen Gründen. Und konnte dieser Mann nicht einfach klar und deutlich sagen: Ich war bei der Waffen-SS?

Aber er hatte doch immer davon gesprochen! Nicht nur einmal, sondern sein Leben lang: als Maler. Nicht im Ton der einmaligen Selbstbezichtigung, sondern in der Praxis eines lebenslangen Exerzitiums des Nichtvergessenkönnes, des Nichtvergessenwollens. Das ist Heisigs quasibarockes Welttheater, die tendenzielle Unbelehrbarkeit und Verlorenheit des Menschen zeigend.

Breslau war seine Heimatstadt. Der Vater war auch Maler, sein erster Lehrer, hätte er damals noch gelebt, der Sohn hätte sich nicht mit 16 Jahren freiwillig an die Front gemeldet. Heisig war da ganz sicher. Sein Vater hätte ihn verhauen, und zwar mit der Malhand. Aber von seiner Mutter ließ er sich nicht schlagen. Und durch ihre Tränen musste er durch, Mütter weinen immer, auch die Mütter künftiger Helden, gerade die. Für die Front brauchte man als 16-Jähriger noch das Einverständnis der Eltern, aber bei der SS brauchte er das nicht. Und so fuhr Heisig mit der 12. SS-Panzerdivision »Hitlerjugend« durch die Höllen des letzten Kriegsjahres, erlebte die Landung der Alliierten in der Normandie und die Ardennenschlacht, kämpfte zum Schluss um seine Heimatstadt, die Hitler zur Festung erklärt hatte. Als alles vorbei war, fand Hildegard Heisig ihren verwundeten Sohn im brennenden Breslau, wie nur eine Mutter ihren Sohn finden kann. Dass er überlebte, mit einem Granatsplitter im Bein, hatte er ihr zu verdanken.

Dass die neuen Direktoren der Museen nach der Wende auch seine Werke abhängten, nahm Heisig gelassen. Bilder halten länger als Direktoren, schon dafür liebte er die Malerei. Nur dass auch ein Porträt seiner Mutter darunter war, schmerzte ihn doch. Es war gut, sagte er. »Meine Mutter vor brennender Stadt« von 1976 ist ein tief erschütterndes Bild, noch immer.

Heisig, der Menschenmaler. Ob es Helmut Schmidt war oder seine Dirigenten-Porträts: Er erfasste Menschen gleichsam aus einer aufs Äußerste konzentrierten Geste heraus. Und was für Selbstbildnisse er schuf! Eines seiner berührendsten hängt jetzt bei Rüdiger Küttner in der Berliner Auguststraße, in seiner Ausstellung zum 90. Geburtstag des Malers: Das Gesicht des Malers ist schon fast verwischt von den Zumutungen der Existenz, eine einzige Unschärferelation.

Bernhard Heisig hatte zwei Hauptgaleristen, den West-Galeristen Dieter Brusberg und den Ost-Galeristen Rüdiger Küttner. Küttner betrachtet seine Ausstellung und sagt, es wird wohl die letzte ihrer Art gewesen sein. Die großen Bilder gehen ihm aus. An der Stirnseite hängt der »Schiffbruch der Eroberer«, es ist schon verkauft. Noch im Untergehen scheinen die Lemuren des Sieges an Bord ihre Ferngläser auf das zu unterwerfende Land gerichtet zu haben. Sie werden es nicht mehr erreichen. Ein großartiges Bild. Weil hier alles Form ist, und diese Form doch ganz Inhalt. Um diesen magischen Punkt ging es, bei jedem Bild wieder.

Und da selbst ein großer Maler ihn nur selten trifft, ist unter einem Heisig ist meist noch ein anderer Heisig, oder mehrere. Übermalen als Weg zur Vollkommenheit! Natürlich ist ein Geschichtsmaler das Gegenteil eines Historienmalers. Aber auch für einen Geschichtsmaler ist es unmöglich, auf dem Land zu leben und die Schönheit ringsum nicht zu sehen. Was für sprechende Blumen Heisig malte! Und was für Stillleben.

Anfang der Siebziger entdeckten westdeutsche Kritiker das »Kunstwunder« von Leipzig, die die Mattheuer-Heisig-Tübke-Trinität. Heute meint man den Namen »Leipziger Schule« überall zu hören. Und wen stört es, dass sie eigentlich nie eine Schule waren? Sogar in Cleveland/ Ohio gibt es inzwischen ein Museum der Leipziger Mehrgenerationen-Malerei. Eben haben die Schweriner Kunstsammlungen eines seiner großen Ikarus-Bilder gekauft. Unnötig zu sagen, dass Heisig diesen Ikarus um seines Abstürzens willen malte.

Die Alleenstraße zwischen Strodehne und Neustadt Dosse. Wenn man irgendwo hier abböge, stünde man wohl vor dem Gehöft, das Heisig 1994 auf der Leinwand ewigkeitsfest machte und das jetzt in Rüdiger Küttners Galerie hängt. Nur ein paar Mauern und ein Giebel in irgendeiner alten Sonne. Es ist in seiner Einfachheit, in seiner Selbstgenügsamkeit gewiss eines der schönsten Heisig-Bilder. Ist Schönheit eine Kategorie, die er anerkannt hätte?

Ausstellung zum 90. Geburtstag Bernhard Heisigs, Galerie Berlin, Auguststraße 19, 10117 Berlin, bis zum 18. April.

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