Durchblick in der Kabine

Muster-Stimmzettel zu Ostern an alle Bremer Haushalte sollen Wahlbeteiligung anregen

  • Alice Bachmann, Bremen
  • Lesedauer: 3 Min.
Wählen will gelernt sein. In Bremen, wo am 10. Mai die Bürgerschaft, das Landesparlament, zur Wahl steht, erhalten die Bürger derzeit schon mal viel Papier zum Kenenlernen der Prozedur.

Pünktlich zur Feiertags- und Ferienzeit bekommen alle Bremer Haushalte etwas zu lesen. Schließlich sind es bis zur Bürgerschaftswahl am 10. Mai nur noch ein paar Wochen. »Infos und Muster-Stimm-Zettel« werden bereits außen auf dem Umschlag angekündigt. Wobei es offensichtlich verschiedene Vorstellungen vom Begriff »Zettel« geben kann. Ein Info-Blatt und zwei DIN-A-Hefte mit insgesamt 40 Seiten fallen aus dem Umschlag.

Wählen dürfen in Bremen alle, die über 16 Jahre alt sind, einen Pass aus einem EU-Land haben und seit mindestens drei Monaten in der Hansestadt leben. Aus Angst vor einer weiter sinkenden Wahlbeteiligung soll im Vorfeld geworben und erklärt werden. Und weil angeblich in Bremen rund 40 Prozent der Bevölkerung nicht mehr in der Lage sind, Texte zu lesen und zu verstehen, sind Infoblatt und Wahlzettel in leichter Sprache abgefasst.

Angepriesen werden Wahlzettel und Infoblättchen in leichter Sprache als große, neue Errungenschaft Bremens, die der Hansestadt eine Vorreiterrolle im Kanon der Bundesländer bescheren soll. Aber die leichte Sprache ist ein Instrument zur Verwirklichung der Barrierefreiheit wie etwa das Dolmetschen in Gebärdensprache oder eine Rampe neben einer Treppe. Nach der UN-Menschenrechtskonvention sind alle Länder verpflichtet, barrierefreie Zugänge zu schaffen - besonders zu Wahlen.

Dass es dann in Bremen die Unterlagen eben nur in einer Ausführung gibt, also in leichter Sprache, gehört wohl in den Bereich der Errungenschaften zur Kostenminimierung. Wenn das vorgetragene Argument stimmt, fast die Hälfte der Bremer Bevölkerung könne sich den Sinn von Texten nicht mehr über das Lesen aneignen, ergeben sich daraus drängende Fragen. Zum Beispiel die, wo diese Masse an Menschen ohne Leseverständnisfähigkeiten zur Schule gegangen ist. Falls dieser Teil des Wahlvolks in Bremen beschult wurde, sollte über tiefere Konsequenzen als eine Wahl-Info in leichter Sprache nachgedacht werden.

Bei den zurückliegenden Bürgerschaftswahlen, die in der Hansestadt gekoppelt sind mit den Wahlen für Beiräte in der Stadt Bremen und der Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven, lag die Wahlbeteiligung 2007 noch bei 57,5 Prozent, vier Jahre später nur noch bei 55,5 Prozent. Allerdings sind das Bremer Wahlsystem und auch die Erläuterungen dazu aus der vorangegangenen Wahl nicht so leicht zu durchschauen. 2011 wurde zum ersten Mal nach einem neuen System gewählt, das zu mehr Demokratie und eigentlich auch mehr Wahlbeteiligung führen sollte. Danach ist jeder Stimmzettel gültig, auf dem mindestens ein Kreuz oder höchstens fünf Kreuze zu finden sind. Die Kreuze müssen deutlich in einem der vielen Kreise platziert sein. Sie dürfen aber beliebig verteilt und aufgeteilt werden.

Die Erläuterungen dazu waren 2011 so kompliziert, dass sich selbst Wahlbereichsleiter beim Erklären verhaspelten. Aber auch mit Erläuterungen in leichter Sprache bleibt in 2015 die Tatsache, dass der »Stimmzettel« allein für die Bürgerschaftswahl 14 Seiten umfasst. Immerhin sind die Parteien zum besseren Erkennen mit ihrem farbigen Emblem gekennzeichnet, aber darunter stehen dann die Namen aller, die es auf die Wahlliste geschafft haben. Und die damit ein bis fünf Kreuze kriegen können. Bei der SPD sind es zum Beispiel 68, bei der CDU 51 und bei den Grünen 32. Zur Wahl stehen insgesamt elf Listen. Da braucht es in der Wahlkabine Durchblick und auch Durchhaltevermögen.

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