Einstmals Solitär am Ku’damm

Das Europa-Center wird 50 und muss sich inzwischen gegen andere Konsumtempel behaupten

  • Christian Thiele
  • Lesedauer: 3 Min.
Es war ein Zeichen des Aufbruchs nach dem Zweiten Weltkrieg: Vor 50 Jahren öffnete in Berlin das Europa-Center. Mit der Wende bekam die Stadt-Ikone Konkurrenz.

Er soll sich über den Schandfleck mitten in West-Berlin ziemlich geärgert haben. Rund um die Gedächtniskirche hätten Buden, Zelte und Baracken den Stadtkern im Nachkriegs-Berlin verschandelt. Karl Heinz Pepper wollte diesen Anblick nicht länger ertragen. So ließ der Investor 1963 am Breitscheidplatz das Europa-Center bauen. Das berichtet sein Sohn Christian Pepper heute. Am 2. April 1965 wurde der 103 Meter hohe Gebäudekomplex vom Regierenden Bürgermeister Willy Brandt (SPD) eröffnet. Das war vor 50 Jahren.

Das Europa-Center gegenüber der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ist eines der ältesten Einkaufszentren Berlins. Für Touristen war es vor der Wende fast eine Pflicht, wenigstens einmal durch die Geschäfte zu schlendern. Das ist heute anders. Viele Besucher zieht es in das Luxuskaufhaus KaDeWe und zu den großen Ketten und Edelboutiquen am Kudamm - alle nur ein paar Fußminuten weg.

Im Europa-Center scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Anders als die neuen Konsumtempel ist der Bau verwinkelt und nur sparsam ausgeleuchtet. Etwa 70 Geschäfte zählt es, einige Restaurants, ein Hotel, eine Bank - und das Kabarett »Die Stachelschweine«, auch eine Gründung aus der Zeit des Kalten Kriegs.

Im Turm verteilen sich auf 21 Etagen Büroflächen. Das Hochhaus war viele Jahre das höchste Gebäude Berlins. Inzwischen sind andere Bauten größer geworden - zum Beispiel das benachbarte Luxushotel Waldorf Astoria.

»Vor der Wiedervereinigung hatte es etwas Ikonenhaftes«, sagt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen. Nach der Wende schossen andere Shopping-Center aus dem Boden. Das Center bekam Konkurrenz. Laut Busch-Petersen gibt es in der Hauptstadt inzwischen 64 Märkte mit mehr 5000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Die Lage gleich neben der Gedächtniskirche sei allerdings kaum zu toppen. In das Center kommen jeden Tag zwischen 25 000 und 40 000 Besucher, schätzt Center-Manager Uwe Timm. »In den Augen der Berliner wird es immer der Vorreiter aller heutigen Shopping-Center bleiben«, versichert der heutige Inhaber, Christian Pepper.

Für den Architekten Ivan Reimann steht das Europa-Center für Aufbruch und Neuanfang der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Es sei ein wichtiges Bauvorhaben gewesen - vor allem aus wirtschaftlicher Sicht. Reimanns Büro plante unter anderem das neue Bundesinnenministerium und den Neubau des Auswärtigen Amts in Berlin. Architektonisch hält Reimann allerdings nicht viel vom Europa-Center. Die einzelnen Gebäudeteile seien solitär und nicht als Ganzes geplant worden. »Es ist ein Kind seiner Zeit.«

Viele Altlasten wurden mittlerweile beseitigt. Bis 1979 gab es im Europa-Center eine Kunsteisbahn. Sie verschwand in der zweiten Umbauphase - aus Kosten- und Effizienzgründen, wie die Manager heute sagen. Das Gebäude hat soviel Fläche wie elf Fußballfelder und steht mittlerweile unter Denkmalschutz. Auffällig sind unter anderem der riesige Stern einer Automarke auf dem Dach und ein 35 Meter hoher Lichtturm, von dem das Center stolz behauptet, es sei der weltweit erste gläserne Obelisk gewesen.

Berliner verbinden mit dem Europa-Center noch Erinnerungen an ihre Kindheit. Die Eisfläche sei eine Kontaktbörse gewesen, berichtet der Kabarettist Hans Werner Olm in einem jetzt erschienen Buch über das Center: »Beim Schlittschuhlaufen hab ich mich regelmäßig auf die Schnauze gelegt und damit das Helfersyndrom junger Frauen geweckt.« Auch als Kulisse diente das Center oft, zum Beispiel für den ersten Videoclip der Band Die Ärzte. Das Gebäude habe wie ein Solitär gewirkt, berichtet Ärzte-Schlagzeuger Bela B. »Da wir so gut wie kein Budget zur Verfügung hatten, war die Idee halt, an einem originellen Ort zu filmen.« dpa

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